Begriff und Erscheinungsformen.
Im nicht islamistischen auslandsbezogenen Extremismus finden sich Organisationen mit Ideologieelementen aus dem Rechts- und Linksextremismus sowie Organisationen, die separatistische Bestrebungen in ihren Heimatländern verfolgen. Insoweit handelt es sich also nicht um ein einheitliches, tendenziell bündnisfähiges Spektrum, sondern um ganz unterschiedliche Interessensgruppen, von denen einige nur anlassbezogen untereinander oder mit deutschen linksextremistischen Gruppierungen zusammenarbeiten. Die Situation in den jeweiligen Bezugsregionen sowie die Vorgaben der dortigen zentralen Organisationseinheiten bestimmen überwiegend Politik, Strategie und Aktionen der Strukturen in Deutschland. In ihren Heimatländern wollen diese Organisationen meist drastische Veränderungen der politischen Verhältnisse herbeiführen, dort oftmals auch durch den Einsatz von Gewalt und Terror.
Damit verstoßen die von Deutschland aus agierenden extremistischen Organisationen mit Auslandsbezug gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Darüber hinaus können sie auch die innere Sicherheit gefährden, indem sie die Konflikte aus den Bezugsregionen untereinander hierzulande fortführen und gegeneinander austragen Den meisten dieser Organisationen gilt Deutschland als sicherer Rückzugsraum. Von hier aus unterstützen sie ihre Heimatorganisationen vor allem propagandistisch, häufig aber auch durch den Nachschub von Geld, Material oder neu rekrutierten Kämpfern. Hierdurch gefährden sie ferner die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland.
„Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK)
Die PKK unterliegt in Deutschland seit 1993 einem Betätigungsverbot. Seit 2002 wird sie zudem auf der EU-Terrorliste geführt. Der PKK werden aktuell rund 15.000 Personen in Deutschland zugeordnet. Zu den zentralen Forderungen der PKK gehören die Anerkennung der kurdischen Identität sowie eine politische und kulturelle Autonomie der Kurden in ihren türkischen und syrischen Siedlungsgebieten.
Trotz des Verbots ist die PKK nach wie vor die schlagkräftigste extremistische Organisation mit Auslandsbezug in Deutschland. Sie ist in der Lage, Personen weit über den Kreis der eigenen Anhängerschaft hinaus zu mobilisieren. Ihre Strukturen ermöglichen zudem eine zügige Umsetzung neuer strategischer und taktischer Vorgaben bis hin zu einer möglichen Neubelebung militanter Aktionsformen.
Die PKK unterhält in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei und im Nordirak Guerillaeinheiten, die sogenannten Volksverteidigungskräfte (HPG).
Seit Beginn des Jahres 2016 intensivierte das türkische Militär seine Kampfhandlungen gegen die PKK und deren Guerillaeinheiten. Dabei kommt es sowohl im Süden der Türkei als auch in den Siedlungsgebieten in Nordsyrien und im Nordirak immer wieder zu Kämpfen.
Der Konflikt wird dabei auch durch Anschläge der PKK-Guerillaeinheiten auf Angehörige der türkischen Sicherheitskräfte geprägt und verschärft, bei denen oftmals Soldaten oder Polizisten und mitunter auch vereinzelt Personen aus der Zivilbevölkerung verletzt oder getötet werden.
Die Aktivitäten der PKK-Anhänger in Deutschland werden vor allem von folgenden Faktoren bestimmt:
- den anhaltenden militärischen Auseinandersetzungen mit türkischen Sicherheitskräften in der Heimatregion,
- der Sorge um den Gesundheitszustand und die Haftsituation des auf der türkischen Gefängnisinsel İmralı inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan,
- dem Vorgehen der türkischen Regierung gegen die PKK sowie ihr nahestehende Organisationen und Parteien.
Krisenhafte Entwicklungen und Ereignisse in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei, in Nordsyrien oder dem Nordirak haben stets auch unmittelbare Auswirkungen auf die Aktivitäten der PKK-Anhänger und damit auf die Sicherheitslage in Deutschland. Kommt es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK in der Heimatregion, nehmen auch in Deutschland die Spannungen zwischen den Anhängern der entgegengesetzten politischen Lager zu.
Zuletzt zeigte sich das nach einem Selbstmordanschlag vor dem türkischen Innenministerium in Ankara, vor dem sich am 1. Oktober 2023 ein Angreifer in die Luft sprengte. Ein zweiter Angreifer wurde von der Polizei erschossen, bevor er seine Sprengstoffweste zünden konnte. Noch am selben Tag bekannte sich die PKK zu dem Anschlag. Als Reaktion startete die türkische Armee eine Luftoffensive gegen Stellungen und Infrastruktur der PKK im Irak, was wiederum zu Protesten der PKK-Anhängerschaft in Deutschland führte.
Wenngleich in Europa weitgehend störungsfrei verlaufende Veranstaltungen im Vordergrund stehen, bleibt Gewalt eine Option in der PKK-Ideologie. Das wird nicht zuletzt durch in Deutschland durchgeführte Rekrutierungen von Kämpfern für die Guerillaeinheiten deutlich. Aufgrund der nach wie vor angespannten Lage in den kurdischen Siedlungsgebieten bemüht sich die PKK intensiv darum, in Deutschland Personen für die Guerillaeinheiten der Organisation anzuwerben. Vor allem die Jugendorganisation der PKK ist maßgeblich für die Rekrutierungsaktivitäten in Deutschland und Europa verantwortlich. Rückkehrer nach Deutschland mit Kampferfahrung aus Kriegsgebieten stellen eine erhebliche Gefährdung für die innere Sicherheit dar.
Hintergrund-Artikel: „Rekrutierung von Kämpfern für die PKK in Deutschland“
Türkischer Linksextremismus
Allen türkischen Linksextremisten gemeinsam ist das Ziel, die Gesellschaftsordnung in der Türkei und die dortige politische Führung zu destabilisieren und letztlich zu überwinden. Ihre Agitation richtet sich daher insbesondere gegen das türkische Staats- und Verfassungssystem und gegen die von ihnen als „Oligarchie“ bezeichnete Regierung.
In Deutschland verfügen die türkischen linksextremistischen Gruppierungen über rund 2.500 Anhänger. Dies sind vor allem die
- „Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front“ (DHKP-C) mit etwa 600 Anhängern,
- „Türkische Kommunistische Partei-Marxisten-Leninisten“ (TKP-ML) mit etwa 650 Anhängern,
- „Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten“ (TKP/ML) mit etwa 150 Anhängern,
- „Marxistische Leninistische Kommunistische Partei“ (MLKP) mit rund 600 Anhängern.
Die „Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front“ (DHKP-C) ist die bedeutendste Organisation des türkischen linksextremistischen Spektrums. Sie spricht sich für eine revolutionäre Zerschlagung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung in der Türkei aus und zielt auf die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft.
Als Hauptfeinde gelten die als „faschistisch“ und „oligarchisch“ bezeichnete Türkei und die USA, denn der von dort ausgehende „US-Imperialismus“ dominiere die Türkei in politischer, wirtschaftlicher und vor allem militärischer Hinsicht. Die DHKP-C bekennt sich in der Türkei zu einer Vielzahl von terroristischen Anschlägen gegen Angehörige und Einrichtungen von Sicherheitsbehörden und der Justiz.
In Deutschland unterliegt die DHKP-C seit 1998 einem Organisationsverbot. Ihre politisch-propagandistischen Aktivitäten entfaltet die DHKP-C hierzulande daher unter Tarnbezeichnungen. So tritt sie beispielsweise als „Volksfront“ („Halk Cephesi“) oder unter dem Namen ihrer Jugendorganisation „Devrimci Gençlik“ („Dev Genç“) auf. Die bisher als Tarnorganisation verwendete „Anatolische Föderation“ („Anadolu Federasyonu“) wird zunehmend durch sogenannte Volksräte ersetzt. So bezeichnen sich mehrere örtliche DHKP-C-Vereine nunmehr neu als „Volksrat“ („Halk Meclis“).
Gewalttaten und Attentate der DHKP-C in der Türkei stoßen unter den Anhängern hierzulande auf große Resonanz und werden seitens der Organisation als wichtiges Mittel zur Stärkung des Zusammenhalts und der Motivation angesehen. Die DHKP-C betrachtet Deutschland zwar als „Ruheraum“, zeigt jedoch mit ihren Gedenkveranstaltungen für die eigenen „Märtyrer“, dass auch die in Deutschland lebenden Anhänger die Parteilinie einschließlich der terroristischen Option mittragen. Die Betonung der Vorbildfunktion der „Revolutionsmärtyrer“ deutet darauf hin, dass die DHKP-C auch Deutschland beziehungsweise Europa als Rekrutierungsbasis für neue Kader und potenzielle Attentäter betrachtet.
Türkischer Rechtsextremismus
Rechtsextremistische türkische Organisationen mit Bezug ins Ausland sind stark nationalistisch geprägt und messen der eigenen Volksgruppe einen höheren Stellenwert zu als anderen Ethnien. Bedeutsam ist hier vor allem die rechtsextremistische türkische „Ülkücü“-Bewegung, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts in der Türkei entstanden ist. Ziel der „Ülkücü“-Bewegung ist der Schutz des Türkentums sowie die Errichtung von „Turan“, einem (fiktiven) ethnisch homogenen Staat unter Führung der Türken, der die Siedlungsgebiete der Turkvölker umfasst und – je nach ideologischer Lesart – vom Balkan bis nach Westchina oder sogar bis Japan reicht.
Das Symbol des „Grauen Wolfs“ („Bozkurt“) und der sogenannte Wolfsgruß (Daumen und Finger des rechten ausgestreckten Arms formen den Kopf eines Wolfs) gelten als Erkennungszeichen der umgangssprachlich als „Graue Wölfe“ („Bozkurtlar“) bezeichneten Anhänger der „Ülkücü“-Bewegung.
Die „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V.“ (ADÜTDF) ist der größte „Ülkücü“-Dachverband in Deutschland. Sie ist die Auslandsorganisation der extrem nationalistischen türkischen „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP), die im türkischen Parlament vertreten ist. In Deutschland sind in über 200 lokalen Vereinen etwa 7.000 Mitglieder als Träger und Multiplikatoren der Ideologie organisiert. Nach außen hin ist die ADÜTDF um ein gesetzeskonformes Verhalten bemüht, ihre Aktivitäten sind jedoch weiterhin extremistisch geprägt.
Daneben existieren in Deutschland noch zwei weitere „Ülkücü“-Dachverbände, die einen stärker islamisch orientierten Teil der „Ülkücü“-Ideologie repräsentieren. Die „ATİB – Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e. V.“ (ATİB) hat sich im Jahr 1987 von der heutigen ADÜTDF abgespalten, ohne sich aber ideologisch neu auszurichten. In Deutschland werden dem Dachverband mit Sitz in Köln derzeit etwa 2.500 Mitglieder zugerechnet, die sich in 24 Ortsvereinen organisieren. Die „Föderation der Weltordnung in Europa“ (ANF) ist die Europaorganisation der nationalistischen türkischen „Partei der großen Einheit“ (BBP) und wurde 1994 in Deutschland gegründet. Dem Dachverband mit Sitz in Ludwigshafen am Rhein werden hierzulande derzeit etwa 15 Ortsvereine mit insgesamt etwa 1.000 Mitgliedern zugeordnet.
Neben der verbandlich organisierten „Ülkücü“-Anhängerschaft werden etwa 1.600 Personen weiteren „Ülkücü“-Kleinststrukturen sowie der unorganisierten „Ülkücü“-Bewegung zugerechnet, die der gleichnamigen Ideologie folgen. Die unorganisierte „Ülkücü“-Bewegung besteht überwiegend aus jüngeren Menschen, die vor allem über die sozialen Netzwerke miteinander in Kontakt stehen. Die Türkei ist zentraler emotionaler Bezugspunkt für türkischstämmige Nationalisten und Rechtsextremisten, sodass dortige Ereignisse stets geeignet sind, die Anhänger in Deutschland zu emotionalisieren. Diese freie Szene besteht überwiegend aus jüngeren Menschen, die vor allem über die sozialen Netzwerke miteinander in Kontakt stehen, sich mitunter aber auch persönlich begegnen. Dabei pflegen sie ihre Feindbilder und agitieren gegen ihre „Gegner“. Vor allem Armenier, Griechen, Juden, Kurden und die USA werden von „Ülkücü“-Anhängern herabgewürdigt und zu „Feinden des Türkentums“ erklärt.
Hintergrund-Artikel: „Türkischer Rechtsextremismus in Deutschland“
Säkularer palästinensischer Extremismus
Der säkulare palästinensische Extremismus stellt sich sehr heterogen dar. Einendes Element der verschiedenen Organisationen, Netzwerke, Bewegungen und Einzelpersonen ist die Feindschaft gegenüber Israel, dessen Existenzrecht sie nicht anerkennen und gegen das sie in völkerverständigungswidriger Weise agitieren. Auf dieser Grundlage bestehen zahlreiche Vernetzungen untereinander, so zum Beispiel zu islamistischen Palästinenserorganisationen, zu deutschen und türkischen Linksextremisten und zu türkischen Rechtsextremisten. Prägend für säkuläre palästinensische Extremisten ist der Territorialkonflikt mit Israel. Häufig wird der Staat Israel von ihnen mit „den Juden“ gleichgesetzt. Die Agitation wird daher primär auf eine antizionistische und antiimperialistische Argumentation gestützt. Entsprechend regelmäßiger Parolen und Darstellungen soll Israel von der Landkarte getilgt werden und stattdessen ein palästinensischer Staat vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer entstehen.
Die „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP) wurde bereits wenige Jahre nach ihrer Gründung im Jahr 1967 auch in Deutschland aktiv und setzte in den Anfängen auch hierzulande terroristische Mittel ein. Seit 2002 listet die EU sie als Terrororganisation. Die PFLP bestreitet das Existenzrecht Israels und propagiert offen den bewaffneten Kampf gegen Israel mit dem Ziel der Gründung eines palästinensischen Staates. Ideologisch gründet sich die PFLP auf den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus, gleichzeitig prägt sie ein starker arabischer Nationalismus. So will sie nicht nur den Zionismus, sondern auch den westlichen Imperialismus zerschlagen. In Deutschland ist die PFLP vor allem propagandistisch aktiv. Sie tritt hier nicht offen unter ihrem Namen in Erscheinung, sondern organisiert beziehungsweise mobilisiert mittels ihrer Funktionäre oder Mitglieder zu Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen. Dies zeigte sich auch bei den Protesten im Nachgang zu den Terrorangriffen der HAMAS gegen Israel, wo Personen aus dem Umfeld der PFLP regelmäßig israelfeindliche Versammlungen organisierten.
Israelfeindliche Propaganda verbreitet die PFLP über ihre hier etwa 100 aktiven Anhängerinnen und Anhänger oder ihre Umfeldorganisationen. Eine davon war das hierzulande mittlerweile verbotene, international agierende „Samidoun – Palästinensisches Gefangenensolidaritätsnetzwerk“ („Samidoun“).
In den sozialen Medien und bei Versammlungen verbreiten die Anhängerschaft sowie Sympathisantinnen und Sympathisanten von „Samidoun Deutschland“ dessen antisemitische, israelfeindliche und damit völkerverständigungswidrige Positionen. Das Mobilisierungspotenzial reichte weit über die Anhängerschaft hinaus. Vielfach zeigen sich Verbindungen zu anderen extremistischen palästinensischen Akteuren sowie zu Strukturen aus dem deutschen und türkischen Linksextremismus. Vor allem nach den Terrorangriffen der HAMAS auf Israel kam es zu einem starken Anstieg propalästinensische Proteste, bei denen es häufig zu antiisraelischen, teils antisemitischen Äußerungen kam. Vielfach agierten Akteure von „Samidoun“ als Mobilisierungstreiber und nahmen an den Protesten teil.
Hintergrund-Artikel: „Samidoun - palästinensisches Gefangenensolidaritätsnetzwerk“
Am 2. November 2023 wurde dann gegen „Samidoun“ ein Betätigungsverbot für Deutschland verhängt, die deutschen Organisationsstrukturen, wie etwa „Samidoun Deutschland“, wurden verboten und aufgelöst.
Daneben gibt es in Deutschland Personen mit Bezügen zum palästinensischen Extremismus, die sich antisemitisch oder israelfeindlich äußern oder betätigen, ohne dass eine Mitgliedschaft in der PFLP oder anderen extremistischen Palästinenserorganisationen festzustellen wäre. Das dieser Szene innewohnende Mobilisierungspotenzial wird immer wieder deutlich bei Protestkundgebungen zu jährlich wiederkehrenden Anlässen wie dem „al-Quds-Tag“, dem „Nakba-Tag“ oder dem „Tag der palästinensischen Gefangenen“, aber auch bei spontanen Reaktionen auf aktuelle politische Ereignisse im Nahen Osten wie zuletzt den Terrorangriffen der HAMAS gegen Israel am 7. Oktober 2023. Bei solchen Veranstaltungen gibt es immer wieder Äußerungen oder Darstellungen mit antisemitischen beziehungsweise antiisraelischen Inhalten sowie eine häufig aggressive Grundstimmung unter den Teilnehmenden, die wiederholt in körperlichen Auseinandersetzungen und Angriffen auf Journalisten oder die Polizei gipfelt.