Navigation und Service

Auslandsbezogener Extremismus.

Personenpotenzial

Das Personenpotenzial im auslandsbezogenen Extremismus ist im Jahr 2023 um 3 % auf nunmehr insgesamt 30.650 Personen (2022: 29.750) angestiegen.

Die zahlenmäßig bedeutsamste Organisation in Deutschland bleibt weiterhin die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) mit 15.000 Anhängern.


Personenpotenzial im auslandsbezogenen Extremismus in Deutschland1

2021

2022

2023

„Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK)14.50014.50015.000
Türkischer Rechtsextremismus11.00012.10012.500
Türkischer Linksextremismus2.5502.5502.500
Säkularer palästinensischer Extremismus200200250
Sonstige400400400
Summe28.65029.75030.650

1 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet.

Auslandsbezogene extremistische Straf- und Gewalttaten

Die Straftaten mit einem auslandsbezogenen extremistischen Hintergrund haben im Jahr 2023 erneut deutlich zugenommen. Mit 56,6 % auf nunmehr 3.092 Delikte (2022: 1.974) fiel der Anstieg im Jahr 2023 erneut deutlich aus. Die Zahl der Gewalttaten stieg um 45,6 % auf 329 Delikte (2022: 226).

Der deutliche Anstieg ist vor allem mit Reaktionen auf den Terrorangriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 und der daraufhin erfolgenden Gegenreaktion des israelischen Militärs im Gazastreifen zu erklären. An den in Deutschland in diesem Zusammenhang zahlreich stattfindenden Protesten und Straftaten beteiligten sich auch diverse Extremisten aus dem Bereich des auslandsbezogenen Extremismus. Bei mehr als der Hälfte der im Jahr 2023 insgesamt von diesem Spektrum verübten Straftaten – rund 1.700 Delikte – ist eine israelfeindliche beziehungsweise propalästinensische Tatmotivation zu verzeichnen. Davon weisen 1.044 Delikte (2022: 58, +1.700 %) einen antisemitischen Bezug auf. Dieser insgesamt deutliche Anstieg ist primär ein Sondereffekt in Folge der Lageentwicklung im Nahen Osten.

Straftaten mit auslandsbezogenem extremistischem Hintergrund

Diagramm kann nicht geladen werden

Mehr zum Thema: „Zahlen und Fakten"

Vielschichtiger Phänomenbereich

Im auslandsbezogenen Extremismus finden sich Organisationen mit Ideologieelementen aus dem Rechts- und Linksextremismus sowie Organisationen, die separatistische Bestrebungen in ihren Heimatländern verfolgen. Die Situation in den jeweiligen Bezugsregionen sowie die Vorgaben der dortigen zentralen Organisationseinheiten bestimmen überwiegend Politik, Strategie und Aktionen der Strukturen in Deutschland. In ihren Heimatländern wollen diese Organisationen meist drastische Veränderungen der politischen Verhältnisse herbeiführen, dort oftmals auch durch den Einsatz von Gewalt und Terror. Damit verstoßen die von Deutschland aus agierenden Strukturen extremistischer Auslandsorganisationen gegen den Gedanken der Völkerverständigung.

In Deutschland sind diese Organisationen derzeit nicht terroristisch aktiv. Sie unterstützen aber von hier aus ihre Heimatorganisationen und deren gewaltsames Vorgehen vor allem propagandistisch, häufig auch durch den Nachschub von Geld, Material oder neu rekrutierten Kämpferinnen und Kämpfern. Hierdurch gefährden sie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland. Vor allem beim gewaltsamen Aufeinandertreffen verfeindeter extremistischer Lager, durch Straftaten bei Versammlungen und durch Angriffe auf Einrichtungen des bekämpften (Heimat-)Staates ist auch die innere Sicherheit Deutschlands gefährdet. Von besonderer Bedeutung sind hier derzeit die PKK, die marxistisch-leninistisch ausgerichtete türkische „Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front“ (DHKP-C), die rechtsextremistische türkische „Ülkücü“-Bewegung sowie säkulare palästinensische Extremisten.

Aktivitäten der PKK

Das Bild zeigt Demonstranten mit Transparenten und der Aufschrift „PKK-Verbot aufheben“
picture alliance | Zuma.press | Michael Kuenne Demonstration am 18.11.2023 in Berlin

In der Türkei führt die PKK weiterhin terroristische Anschläge durch, wie zum Beispiel einen Selbstmordanschlag vor dem türkischen Innenministerium in Ankara am 1. Oktober 2023, bei dem beide Angreifer ums Leben kamen. Im restlichen Europa dagegen bemüht sich die PKK seit Jahren um ein weitgehend gewaltfreies Erscheinungsbild. Jedoch kommt es bei öffentlichen Veranstaltungen immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei oder mit türkischstämmigen Nationalisten beziehungsweise türkischstämmigen Rechtsextremisten. Die Organisation ist in der Lage, zumindest punktuell auch in Deutschland Gewalt einzusetzen, sofern ihr dies geboten scheint. Darüber hinaus werden Straf- und Gewalttaten ihrer jugendlichen Anhängerschaft zumindest geduldet.

Im Jahr 2023 erzielte die PKK bei ihrer „Jahresspendenkampagne“ („kampanya“) allein in Deutschland geschätzt zwischen 16 und 17 Millionen Euro und erreichte damit eine ähnlich hohe Summe wie im Vorjahr. Auch das für die Partei so wichtige Versammlungsgeschehen hat 2023 in Deutschland wieder auf hohem Niveau stattgefunden. Neben Propaganda in eigener Sache können hierbei neue Anhänger geworben und zum Teil auch Gelder für die Organisation eingenommen werden. Neben zahlreichen kleineren Veranstaltungen nahmen bei Großveranstaltungen wie den zentralen Newroz-Feierlichkeiten in Frankfurt am Main bis zu 35.000 und beim „Internationalen Kurdischen Kulturfestival“ ebenfalls in Frankfurt am Main bis zu 12.000 Personen teil.

Der Verfolgungsdruck auf PKK-Funktionäre in Deutschland bleibt weiterhin hoch. Auch 2023 wurden mehrere PKK-Führungskader wegen Unterstützung oder Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Weitere Strafverfahren gegen Führungsfunktionäre laufen derzeit.

Vor dem Hintergrund der fortwährenden gewaltsamen Auseinandersetzungen mit türkischen Sicherheitskräften in den kurdischen Siedlungsgebieten setzt die PKK ihre Aktivitäten zur Rekrutierung vor allem jugendlicher Anhängerinnen und Anhänger aus Deutschland und Europa für den bewaffneten Kampf weiter fort. Seit Beginn der statistischen Erfassung durch das BfV im Juni 2013 haben sich mehr als 300 Personen aus Deutschland in die kurdischen Siedlungsgebiete begeben und sich dort unter anderem Kampfeinheiten der PKK angeschlossen. Von den Ausgereisten sind mindestens 41 Personen dort ums Leben gekommen, etwa 160 Personen sind mittlerweile nach Deutschland zurückgekehrt. Dies belegt, dass in Deutschland rekrutierte Personen, darunter auch deutsche Staatsangehörige, militärisch ausgebildet und in ausländischen Kampfgebieten eingesetzt werden.

Festnahmen von DHKP-C-Funktionären

Nach den Festnahmen der Deutschlandverantwortlichen sowie zweier ehemaliger Gebietsleiter der DHKP-C in Deutschland im Mai 2022 wurde am 14. Juni 2023 der Strafprozess vor dem OLG Düsseldorf eröffnet. Zudem wurde am 9. Februar 2023 ein weiterer regionaler Funktionär der DHKP-C festgenommen, der sich seit dem 19. September 2023 vor dem OLG Stuttgart verantworten muss. Die Anklage lautet in beiden Fällen auf Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung DHKP-C. Als Reaktion auf die Festnahmen hat die DHKP-C eine Dauerkampagne für die Freilassung der inhaftierten Mitglieder begonnen. Drei Nachwuchsfunktionäre traten hierbei im Frühjahr 2023 in einen das Jahr andauernden unbefristeten Hungerstreik.

Die DHKP-C versucht weiterhin, in der Türkei terroristische Anschläge durchzuführen. So wurden am 30. Oktober 2023 bei einem illegalen Übertritt an der griechisch-türkischen Grenze vier Mitglieder der DHKP-C bei einem Schusswechsel mit türkischen Sicherheitskräften getötet. Die DHKP-C bezeichnete die Getöteten als „Märtyrer“ und Kämpfer der DHKP-C und bestätigte indirekt das geplante Anschlagsvorhaben. Einer der Getöteten hielt sich über viele Jahre als Funktionär der DHKP-C in Deutschland auf und war hier auch zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Antisemitismus im Auslandsbezogenen Extremismus

Im auslandsbezogenen Extremismus in Deutschland nimmt Antisemitismus vor allem im türkischen Rechtsextremismus und bei säkularen extremistischen Palästinensern eine relevante Rolle ein. Bei türkischen Rechtsextremisten ist Antisemitismus prägender Bestandteil ihrer Ideologie; bei säkularen palästinensischen Extremisten ist der Territorialkonflikt mit Israel der Hauptanknüpfungspunkt antisemitischer Agitation. Bei anderen auslandsbezogenen extremistischen Strukturen ist Antisemitismus dagegen kein ideologisches Kernelement – häufig schon aufgrund fehlender regionaler, religiöser oder politischer Berührungspunkte. Dennoch kommt es auch bei türkischen Linksextremisten anlassbezogen zu israelfeindlichen Stellungnahmen, die jedoch nicht vorherrschend auf Religion und Ethnie, sondern auf die Solidarität mit den Palästinensern und die Ablehnung des angeblich „imperialistischen“ und „kapitalistischen“ Staates Israel abstellen.

Der Terrorangriff der HAMAS gegen Israel am 7. Oktober 2023 und das darauffolgende militärische Vorgehen Israels gegen terroristische Strukturen im Gazastreifen wirkten sich auch auf die Sicherheitslage in Deutschland aus. Anhänger extremistischer palästinensischer Organisationen sowie türkische Links- und Rechtsextremisten organisierten oder beteiligten sich an propalästinensischen Versammlungen. Über die sozialen Medien mobilisierten sie zu Protesten und verbreiteten Propaganda. Dabei kam es immer wieder zu israelfeindlichen und zum Teil auch antisemitischen Aussagen und Darstellungen.

Im Protest- und Versammlungsgeschehen nach dem Terrorangriff der HAMAS gegen Israel und zum Krieg im Gazastreifen zeigte sich die MLKP-Jugendorganisation „Young Struggle“ (YS) als einer der aktivsten extremistischen Akteure in Bezug auf Mobilisierung, Organisation und Teilnahme an propalästinensischen Versammlungen und spektrenübergreifenden Vernetzungen.

Vor allem der unorganisierte Teil der türkisch-rechtsextremistischen „Ülkücü“-Szene trat in diesem Kontext mit einer klar propalästinensischen Positionierung hervor. Dabei wurde der Antisemitismus im türkischen Rechtsextremismus offenbart, der Terror der HAMAS gerechtfertigt und zugleich das Existenzrecht Israels bestritten. Neben Boykott-Aufrufen gegen israelische Unternehmen oder dort produzierte Waren und der Mobilisierung oder Teilnahme an propalästinensischen Kundgebungen sammelte die Szene auch Spenden, sowohl für den Gazastreifen wie auch für die Organisation von Demonstrationen in Deutschland.

Säkulare extremistische Palästinenserorganisationen

Hauptakteur der in Deutschland aktiven säkularen extremistischen Palästinenserorganisationen ist die 1967 gegründete „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP). Sie tritt hierzulande nicht offen unter ihrem Namen in Erscheinung, sondern organisiert beziehungsweise mobilisiert mittels ihrer Funktionäre oder Mitglieder zu propagandistischen Aktionen und Versammlungen. Seit 2002 ist die PFLP von der EU als Terrororganisation gelistet. Die PFLP bestreitet das Existenzrecht Israels und propagiert offen den bewaffneten Kampf gegen den jüdischen Staat. Ihre antisemitische Agitation ist dabei stark antizionistisch geprägt.

Daneben gibt es in Deutschland Personen mit Bezügen zum palästinensischen Extremismus, die sich antisemitisch oder israelfeindlich äußern oder betätigen, ohne dass eine Mitgliedschaft in der PFLP oder anderen extremistischen Palästinenserorganisationen festzustellen wäre. Aus diesem Spektrum werden immer wieder Aufrufe zur Gewalt gegen Jüdinnen und Juden in den sozialen Medien verbreitet.
Das dieser Szene auch abseits fester Organisationszugehörigkeiten in Deutschland innewohnende Mobilisierungspotenzial wird immer wieder deutlich bei Protestkundgebungen zu jährlich wiederkehrenden Anlässen wie dem „al-Quds-Tag“, dem „Nakba-Tag“ oder dem „Tag der palästinensischen Gefangenen“, aber auch bei spontanen Reaktionen auf aktuelle politische Ereignisse im Nahen Osten wie zuletzt dem Terrorangriff der HAMAS gegen Israel am 7. Oktober 2023. Bei Protestkundgebungen gibt es hier immer wieder Äußerungen oder Darstellungen mit antisemitischen beziehungsweise antiisraelischen Inhalten sowie eine häufig aggressive Grundstimmung unter den Teilnehmenden, die wiederholt in körperlichen Auseinandersetzungen und Angriffen auf Journalisten oder die Polizei gipfelt.

Das Bild zeigt ein Plakat mit der Aufschrift „From the River to the Sea, Boycott Israel“
picture alliance | Zuma-press | Sachelle Babbar

Die Bewegung „Boycott, Desinvestitionen und Sanktionen“ (BDS) wird in diesem Jahr erstmals im Verfassungsschutzbericht als extremistischer Verdachtsfall benannt. BDS weist über israelfeindliche Positionen und entsprechende Aussagen der ihr zuzurechnenden Strukturen und Anhängerschaft Bezüge zum säkularen palästinensischen Extremismus auf. Mit ihrer internationalen Kampagne fordert BDS einen totalen wirtschaftlichen Boykott, den Abzug von Investitionskapital sowie das Verhängen von Sanktionen gegen den Staat Israel. Im englischen Original des Gründungsaufrufs von 2005 („BDS Call“) wird als erste von drei zentralen Forderungen ein Ende der Besatzung „allen arabischen Landes“ verlangt, was hier als Forderung im Sinne einer Beendigung der staatlichen Existenz Israels zu verstehen ist. Entsprechende Forderungen werden auch in Deutschland regelmäßig bei öffentlichen Versammlungen gestellt, an denen BDS-nahe Gruppierungen beteiligt sind.

Betätigungsverbot des „Samidoun“-Netzwerks in Deutschland

Am 2. November 2023 hat die Bundesinnenministerin die Betätigung des internationalen „Samidoun“-Netzwerks in Deutschland verboten. Die Teilorganisation „Samidoun Deutschland“, auch agierend unter den Bezeichnungen „HIRAK – Palestinian Youth Mobilization Jugendbewegung (Germany)“ und „Hirak e.V.“, wurde verboten und aufgelöst. Vom Verbot umfasst ist das öffentliche Auftreten unter der Bezeichnung oder die Betätigung für „Samidoun“. Die für Propaganda und Mobilisierung wichtigen Social-Media-Kanäle wurden abgeschaltet beziehungsweise sind in Deutschland gesperrt. Mit der Verfügung wurde zudem das Verwenden der Kennzeichen von „Samidoun“ einschließlich der Parole From the river to the sea, Palestine will be free untersagt.

Verschiedene Akteure aus dem deutschen und türkischen Linksextremismus erklärten sich in der Folge solidarisch mit „Samidoun“. Bereits wenige Stunden nach Bekanntwerden des Terrorangriffs der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 hatte „Samidoun“ diesen begrüßt, Terror gegen Zivilisten als „Widerstand“ relativiert und ihn durch das Verteilen von Süßigkeiten in Berlin gefeiert. Dies setzte sich in den kommenden Wochen bis zum Verbot Anfang November fort. Seit dem Verbot ist „Samidoun“ selbst in Deutschland unter dieser Bezeichnung nicht mehr relevant öffentlich in Erscheinung getreten.