Linksextremismus.
Personenpotenzial
Das linksextremistische Personenpotenzial ist im Jahr 2023 nach Abzug von Mehrfachzuordnungen um 1,4 % auf insgesamt 37.000 Personen angestiegen. Davon sind 11.200 als gewaltorientiert einzuschätzen.
Personenpotenzial im Linksextremismus 2021 bis 20231 | |||
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2021 | 2022 | 2023 | |
Gewaltorientierte Linksextremisten | 10.300 | 10.800 | 11.200 |
davon Autonome | 8.000 | 8.300 | 8.300 |
Nicht gewaltorientierte dogmatische und sonstige Linksextremisten | 25.500 | 27.600 | 27.800 |
Summe | 35.800 | 38.400 | 39.000 |
Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften | 34.700 | 36.500 | 37.000 |
1 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. |
Linksextremisten wollen die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen. Themen wie „Antifaschismus“, „Antikapitalismus“, „Antirepression“ oder „Antigentrifizierung“ sind dabei anlassbezogen relevante, letztlich aber austauschbare Aktionsfelder, die nur der Erreichung der eigenen ideologischen Zielsetzung dienen: der Errichtung eines kommunistischen Systems beziehungsweise einer herrschaftsfreien, anarchistischen Gesellschaft.
Linksextremistisch motivierte Straf- und Gewalttaten
Die Zahl linksextremistisch motivierter Straftaten stieg 2023 um 10,4 % auf 4.248 Delikte. Noch deutlicher ist der Anstieg bei den Gewalttaten um 20,8 % auf 727 Delikte. Insbesondere die Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte nahm deutlich zu.
Auf die Verurteilung linksextremistischer Gewalttäter um die Hauptangeklagte Lina E. im Mai 2023 reagierte die linksextremistische Szene bundesweit mit zahlreichen Straf- und Gewalttaten, darunter nach derzeitigem Ermittlungsstand zwei versuchte Tötungen an Polizeibeamten in Leipzig (Sachsen). Hinzu kommen fortgesetzt erhebliche Angriffe auf tatsächliche oder als solche ausgemachte Rechtsextremisten im In- und Ausland.
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Gefährdungspotenzial
Das vom gewaltbereiten Linksextremismus ausgehende Gefährdungspotenzial ist unvermindert hoch. Besorgniserregend ist ein erkennbares, bislang nicht ausgeschöpftes Potenzial für eine weitere Radikalisierung einzelner Gewalttäter und Netzwerke sowie der Aktionsformen. Bei Angriffen auf Polizeibeamtinnen und -beamte und im „antifaschistischen kampf“ gewaltbereiter Linksextremisten ist bislang nur durch glückliche Zufälle keines der Opfer zu Tode gekommen.
Autonome Kleingruppen professionalisieren ihre Vorgehensweise und agieren auch grenzüberschreitend vernetzt mit ausländischen Linksextremisten. Bestehende Netzwerkstrukturen verfestigen und radikalisieren sich, zudem erweitert sich das Personenpotenzial im „militanten Antifaschismus“ durch die Entstehung neuer Strukturen. Auch wenn die Schwelle zum Terrorismus aktuell noch nicht überschritten ist, hat sich die Gefahr für schwere Gewalttaten gegen Personen nochmals erhöht. Bei ungehindertem Fortgang der Radikalisierung einzelner Personen oder Strukturen könnte in Deutschland ein neuer Linksterrorismus entstehen, der sich insbesondere gegen als solche ausgemachte „Faschisten“ richten dürfte, aber auch zu weiterer Gewalt gegen Staat und Polizei führen könnte.
Zudem haben Linksextremisten auch im Jahr 2023 mit Angriffen auf Wirtschaftsunternehmen, aber zunehmend auch auf Kritische Infrastruktur, Sachschäden in mehrstelliger Millionenhöhe verursacht. Durch Anschläge auf Einrichtungen wie Kabelschächte, Telekommunikationseinrichtungen oder Bahnanlagen können auch weite Teile der Bevölkerung von linksextremistischen Straf- und Gewalttaten betroffen sein.
Antifaschistischer Kampf
Vor dem Hintergrund ihres „antifaschistischen Kampfes“ verüben gewaltbereite Linksextremisten erhebliche körperliche Angriffe auf als „faschistisch“ ausgemachte Personen. Solche Angriffe ereigneten sich im Berichtsjahr unter anderem in Erfurt und in Budapest (Ungarn). Zudem verurteilte das Oberlandesgericht Dresden vier gewalttätige Linksextremisten zu mehrjährigen Haftstrafen ohne Bewährung. Ihnen wurden unter anderem drei gewaltsame Angriffe auf politische Gegner vorgeworfen, die sie als Mitglieder und/oder Unterstützer einer kriminellen Vereinigung begangen haben. Die vier Verurteilten sind Teil eines Netzwerks, dem zahlreiche Gewalttaten aus den letzten Jahren gegen vermeintliche Rechtsextremisten zugerechnet werden.
Nicht nur mutmaßliche Rechtsextremisten werden von der Szene regelmäßig als „faschistisch“ bezeichnet – gleiches gilt auch für den Staat, seine freiheitliche demokratische Grundordnung sowie die ihn repräsentierenden Personen. Gewaltorientierte Linksextremisten verstehen Straftaten und Gewalt als Kernbestandteil ihres „antifaschistischen Kampfes“. Die Bandbreite reicht von „Outings“ über Bedrohungen, Beschädigung oder Zerstörung von Eigentum, Brandstiftungen an Fahrzeugen oder Trefforten bis hin zu brutalen körperlichen Angriffen auf als „faschistisch“ ausgemachte Personen, häufig auch in deren privatem Umfeld.
Für Linksextremisten ist auch enthemmte Brutalität sowie schwerste Gewalt gegen Menschen im „antifaschistischen Kampf“ ein legitimes und nicht zuletzt erforderliches Mittel. Sie rechtfertigen ihr gewaltsames Vorgehen mit einer angeblichen Untätigkeit staatlicher Organe bei der Bekämpfung von „Rassisten“ und „Faschisten“. Dabei wollen sie durch regelmäßige Gewaltanwendung oder zumindest -androhung in der von ihnen selbst definierten „rechten“ und rechtsextremistischen Szene ein stetes Gefühl der Angst erzeugen.
Im Kampf gegen den bei Linksextremisten verhassten Staat stellt auch weiterhin die Polizei das zentrale Feindbild gewaltorientierter Linksextremisten dar. Gegen ihre Einsatzkräfte, Fahrzeuge und Einrichtungen richten sich deshalb die meisten linksextremistischen Gewalttaten. Vor allem gewaltorientierte Linksextremisten verunglimpfen Polizeibedienstete als „Mörder in Uniform“ und „Bullenschweine“, die es allein schon aufgrund ihrer Berufswahl verdient hätten, physische Gewalt zu erfahren.
Einflussnahme auf die Klimaproteste
Angriffe gegen Unternehmen oder Kritische Infrastruktur begründen Linksextremisten daneben regelmäßig mit einem vorgeblichen Engagement für den Klimaschutz. Mit diesem Thema versuchen sie, demokratische Diskurse zu verschieben, diese um ihre eigenen ideologischen Positionen zu ergänzen, gesellschaftlichen Protest zu radikalisieren sowie den Staat und seine Institutionen zu delegitimieren. Akteure aus dem gewaltorientierten Linksextremismus sind daher immer wieder bestrebt, Brandstiftungen und Sabotage als militante Aktionsformen in der Klimaprotestbewegung zu etablieren.
Im Kontext ihrer Straftaten propagieren Linksextremisten, dass die Abwendung der „Klimakatastrophe“ nur mit einem grundlegenden Umsturz des Systems gelingen könne. Vor allem die Räumung und der Abriss der Ortschaft Lützerath zugunsten des Abbaus der darunterliegenden Braunkohle bildete im Frühjahr 2023 einen wichtigen Bezugspunkt für Klimaproteste und wurde auch von Linksextremisten stark thematisiert. Der Protest gegen die Räumung von Lützerath ist ein eindrückliches Beispiel für den Versuch von Linksextremisten, demokratischen Protest zu radikalisieren und als Bühne für ihre Gewalt zu nutzen.
Zu den von Linksextremisten im Rahmen der Klimaproteste genutzten Aktionsformen zählen unter anderem auch Blockaden und Besetzungen zum Nachteil von Einrichtungen und Unternehmen der Energieinfrastruktur, die als „ziviler Ungehorsam“ bezeichnet werden. Durch die Verwendung dieses Begriffs wird der vorsätzlich ausgeübte und teils auch gewaltsame Widerstand gegen das staatliche Gewaltmonopol eines demokratischen Rechtsstaats in eine Reihe mit Menschen- und Bürgerrechtsbewegungen gestellt, die gewaltlos gegen Unrechtssysteme protestieren.
Obwohl ein steuernder Einfluss von Linksextremisten aktuell nicht erkennbar ist, wollen gewaltorientierte Linksextremisten ihrerseits mithilfe von Aktionsbündnissen Einfluss auf die Klimaprotestbewegung nehmen. Diese Proteste stellen vor dem Hintergrund der aus Sicht der Klimaaktivistinnen und -aktivisten unverändert dringlichen Situation ein nutzbares Eskalationspotenzial für die Szene dar. Aufgrund des vielfach jugendlichen Alters der Protestierenden und der hohen öffentlichen Wahrnehmung ihrer Proteste ist die Klimaprotestbewegung deshalb nach wie vor attraktiv für Linksextremisten aus unterschiedlichen Spektren.
Linksextremistischer Verdachtsfall „Ende Gelände“
Eine maßgebliche Rolle kommt indes dem 2014 von der postautonomen „Interventionistischen Linken“ (IL) gegründeten Bündnis „Ende Gelände“ zu. „Ende Gelände“ wird im VSB 2023 erstmals als Verdachtsfall des BfV benannt. Das Bündnis konnte von der starken Dynamik der deutschen Klimaprotestbewegung in den letzten Jahren profitieren, hat sich sowohl strukturell wie auch ideologisch von der IL emanzipiert und als Kooperationspartner für Angehörige des autonomen und des dogmatischen Linksextremismus etabliert.
Es ist zugleich eine zunehmende eigenständige Verschärfung der Aktionsformen bis hin zur Sabotage sowie in Grundsatzpapieren darüber hinaus eine Radikalisierung hinsichtlich der vorherrschenden ideologischen Positionen des Bündnisses ersichtlich geworden.
So veröffentlichte „Ende Gelände“ mit dem im März 2022 erschienenen Buch „We shut shit down“ sowie der Schrift „Überall Polizei, nirgendwo Sicherheit – Kritik der Polizei“ im August 2022 erstmals zwei Texte, die grundsätzliche Diskussionsprozesse und Standpunkte abbilden. Ausgehend von einer antikapitalistischen Grundhaltung werden darin klare Aussagen zum Verhältnis von wirtschaftlicher und politischer Ordnung aus Sicht der Autoren getätigt:
„[D]er „Kapitalismus“ [ist] eben nicht nur ein Wirtschaftssystem (…), sondern auch eine Gesellschaftsordnung, die unsere gesamten Leben, Gesetze, Infrastrukturen, Institutionen und Denkmuster insbesondere im Globalen Norden prägt.“
(„Ende Gelände. We shut shit down“, Hamburg 2022, S. 147)
„(…) In einer kapitalistischen Gesellschaft (kann es) keine Klimagerechtigkeit geben. Daher ist neben dem Kampf für eine klimagerechte Gesellschaft der Kampf für einen Systemwandel erforderlich.“
(„Ende Gelände, „We shut shit down“, Hamburg 2022, S. 139 f.)
Zusätzlich zur Überwindung der „kapitalistischen Gesellschaftsordnung“ fordert „Ende Gelände“ in „Kritik der Polizei“ eine vollständige Abschaffung der Polizei:
„Polizei muss Abgeschafft werden (…) Für Gerechtigkeit braucht es keine Polizei und keinen Staat. (…) Recht und Gerechtigkeit ohne Polizei neu zudenken erfordert ein neu denken der Systeme und Strukturen in denen wir leben (…)“
(„Überall Polizei, Nirgendwo Sicherheit – Kritik der Polizei“, S. 14)
Darüber hinaus bezieht „Ende Gelände“ auch weitere Exekutivorgane („Behörden“) und die Judikative („Gerichte“) mit ein:
„Und auch wenn sich dieser Text primär auf die Polizei bezieht, so sind andere Repressionsorgane (Behörden, Gerichte etc.) da definitiv mitgemeint (…) Unsere Kritik der Polizei ist eingebettet in eine fundamentale Staatskritik.“
(„Überall Polizei, Nirgendwo Sicherheit – Kritik der Polizei“, S. 3)
„Ende Gelände“ verfügt über umfängliche Kontakte und Kooperationen auf personeller und funktional-organisatorischer Ebene, darunter auch zu zahlreichen Akteuren aus dem linksextremistischen Spektrum. Auch wird das bisherige Themenspektrum durch andere szenerelevante Inhalte erweitert. So forderte „Ende Gelände“ die Freilassung der verurteilten linksextremistischen Gewalttäterin Lina E. und mobilisierte in diesem Zusammenhang zum „Tag X“ in Leipzig, bei dem es zu gewaltsamen Ausschreitungen durch gewaltbereite Linksextremisten kam.
Linksextremistische Mitmachkampagne „Switch off“
Mit der Anfang 2023 neu initiierten Kampagne „Switch off – the system of destruction“ forcieren Linksextremisten eine Verbindung des klassischen linksextremistischen Aktionsfelds „Antikapitalismus“ mit klimapolitischen Themen. Im Kampagnenaufruf wird jegliches staatliche Handeln zur Lösung der Klimakrise abgelehnt und stattdessen gefordert, die für die „Zerstörung der Natur“ Verantwortlichen sowie die „Infrastruktur des Kapitalismus“ anzugreifen. Bei „Switch off“ handelt es sich um eine sogenannte Mitmachkampagne mit dem Ziel, andere Personen zur Begehung von Straftaten zu animieren, um dadurch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erzeugen.
Auch soll gewaltorientierten Linksextremisten eine Bühne bereitet und die Begehung von Straftaten als eine wirksame und akzeptierte Strategie innerhalb der Klimaprotestbewegung etabliert werden. Das Label „Switch Off“ wurde seither in zahlreichen Erklärungen zu Sachbeschädigungen und Brandstiftungen mit zum Teil erheblichen Schadenssummen verwendet. Über 50 Anschläge werden auf der Kampagnenwebsite allein für das Jahr 2023 in den Kontext „Switch Off“ gestellt.
Linksextremistische Mitgliederwerbung unter Jugendlichen
Die Grundüberzeugung von der herausragenden Bedeutung der Jugend als zentrales revolutionäres Potenzial teilen vor allem dogmatische Linksextremisten. Die Jugend soll mit ihrer Kraft und ihrem Engagement das Fundament für die angestrebte „revolutionäre Massenbasis“ stellen. Um Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene für sich zu gewinnen, betreiben linksextremistische Jugendorganisationen zunehmend intensive und aufdringliche ideologische Anwerbung vor Schulen, Betrieben und Universitäten.
Gleichzeitig versuchen sie, demokratische Bewegungen wie gewerkschaftliche Demonstrationen und Bildungsproteste zu instrumentalisieren. Seit Oktober 2023 gerieten zudem auch propalästinensische Demonstrationen verstärkt in den Fokus und wurden von Linksextremisten für den Versuch der Anwerbung und Mobilisierung neuer, auch jüngerer Anhängerinnen und Anhänger genutzt. Besonders im Bereich der Schulen sind Linksextremisten aktiv. Der trotzkistische Jugendverband „REVOLUTION“ (REVO) konnte 2023 sehr erfolgreich junge Mitglieder rekrutieren. Durch die intensive Nutzung sozialer Medien haben dogmatische Linksextremisten zudem eine deutlich höhere Reichweite erlangt.
Themen wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine oder die „Palästina-Solidarität“ werden regelmäßig für den Versuch missbraucht, das bei Jugendlichen vorhandene humanitäre Engagement in einen kommunistisch interpretierten Widerstand gegen vermeintlichen „Militarismus“, „Imperialismus“, „Kolonialismus“ und „Kapitalismus“ umzuleiten. Bei Demonstrationen nutzen Linksextremisten die Gelegenheit, sich engagierten Jugendlichen anzunähern und ideologische Überzeugungsarbeit sowie Mitgliederwerbung zu betreiben. Dieser Strategie folgt auch die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD). Entsprechend investiert sie erheblich in die Jugendarbeit: Sie unterhält eigene Kinder- und Jugendverbände („REBELL“), veranstaltet jährliche Jugendfestivals und schickt gut ausgebildete Mitglieder zu Demonstrationen, um durch intensives Werben die eigene Ideologie anzupreisen.