„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“.
„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen – unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht – die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen.
Personenpotenzial
Der „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Szene gehörten im Jahr 2023 deutschlandweit etwa 25.000 Personen (2022: 23.000) an. Davon sind rund 1.350 Personen (2022: 1.250), also etwas mehr als fünf Prozent, zugleich dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen.
Ein Anteil von rund zehn Prozent, also etwa 2.500 Personen (2022: 2.300), ist als gewaltorientiert einzustufen. Zu diesem Personenpotenzial zählen gewalttätige Szeneangehörige sowie Personen, die beispielsweise durch Drohungen oder gewaltbefürwortende Äußerungen auffallen.
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Ausschlaggebend für den Anstieg des Personenpotenzials sind vermehrte Vernetzungs- und Vermischungstendenzen mit Angehörigen anderer Phänomenbereiche (Rechtsextremismus, „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“).
Bei den neu erfassten extremistischen Akteuren innerhalb der „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Szene war ein Anstieg des prozentualen Anteils von Frauen von rund 23 % im Jahr 2017 auf 43 % im Jahr 2023 festzustellen. Zudem zeichnet sich eine Verjüngung der Szene ab. So ist die Zahl der neu erfassten 18- bis 29-Jährigen unabhängig vom Geschlecht zwischen 2017 und 2022 um jeweils circa 3 Prozentpunkte gestiegen und die Zahl der über 60-Jährigen um 14 % (Männer) beziehungsweise 23 % (Frauen) gesunken.
Extremistische Straf- und Gewalttaten von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“
Die Gesamtzahl extremistischer Straf- und Gewalttaten von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ ist im Vergleich zum Vorjahr um 21,2 % gesunken (2022: 1.358; 2023: 1.070). Auch bei den Gewalttaten war im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang zu verzeichnen, und zwar um 47,9 % (2022: 286; 2023: 149). Hierzu zählte neben Erpressungs- (85) und Widerstandsdelikten (49) insbesondere 1 versuchtes Tötungsdelikt.
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Gruppierungen
„Königreich Deutschland“ (KRD)
Die „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Gruppierung „Königreich Deutschland“ (KRD) warb im Berichtsjahr weiter damit, ihre Anhänger müssten „im KRD“ keine Steuern an die Bundesrepublik Deutschland zahlen.
Zudem verfolgte sie weiterhin ihre Strategie, Liegenschaften für den Aufbau sogenannter Gemeinwohlstrukturen zu erwerben. Ziel ist die Erweiterung des vermeintlichen „Staatsgebiets“ des KRD.
Mehr zum Thema: „Das „Königreich Deutschland“
„Indigenes Volk Germaniten“ (IVG)
Die bundesweit aktive „Reichsbürger“-Gruppierung „Indigenes Volk Germaniten“ (IVG) erwarb im Berichtsjahr ebenfalls Immobilien zur szeneinternen Nutzung. Seit der Coronapandemie verzeichnet die 2010 gegründete Gruppierung einen verstärkten Zulauf und war 2023 mit Veranstaltungen und Vorträgen aktiv.
Staatliche Maßnahmen
Angesichts des Bedrohungspotenzials für die freiheitliche demokratische Grundordnung stehen „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ weiterhin im Fokus staatlicher Maßnahmen. So führte die Polizei im März, Mai und Juni 2023 weitere Exekutivmaßnahmengegen die „Reichsbürger“-Gruppierung um Heinrich XIII. P. R. durch, nachdem bereits im Dezember 2022 bundesweite Exekutivmaßnahmen erfolgt waren.
Die Durchsuchungen standen im Kontext eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung und weiterer Straftaten. Die Gruppierung beabsichtigte, das politische System in Deutschland mittels Waffengewalt zu beseitigen und durch eigene Herrschaftsstrukturen zu ersetzen. Sie war ideologisch und personell äußerst heterogen und bediente sich „Reichsbürger“-typischer Verschwörungsnarrative wie der S.H.A.E.F.- Gesetzgebung und der QAnon-Theorie, rechtsextremistischer Ideologeme sowie esoterischer Versatzstücke.
Mehr zum Thema: „Exekutivmaßnahmen gegen Reichsbürgerspektrum“
Darüber hinaus verurteilte das Oberlandesgericht Stuttgart (Baden-Württemberg) im März und im November 2023 zwei „Reichsbürger“ zu hohen Freiheitsstrafen, unter anderem wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Einer der Verurteilten hatte im Februar 2022 während einer Verkehrskontrolle einen Polizisten absichtlich mit dem Auto überfahren und schwer verletzt. Der andere verurteilte „Reichsbürger“ hatte im April 2022 bei einer Durchsuchung zur Sicherstellung von Waffen auf die eingesetzten Kräfte des Spezialeinsatzkommandos geschossen und dabei zwei von ihnen verletzt.
Waffenaffinität
Das Gefährdungspotenzial durch die Waffenaffinität vieler Szeneangehöriger besteht fort. So werden bei staatlichen Maßnahmen gegen „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ immer wieder Waffen, aber auch Sprengmittel sichergestellt.
Beispielsweise beschlagnahmte die Polizei im Februar 2023 bei Durchsuchungen bei einem „Reichsbürger“ eine beträchtliche Anzahl an Waffen, darunter zahlreiche Maschinengewehre, Maschinenpistolen, Repetiergewehre sowie große Mengen Munition. Bei einem als „Reichsbürger“ eingestuften Beschuldigten konnten im März 2023 im Zuge einer Wohnungsdurchsuchung unter anderem drei scharfe Handgranaten aufgefunden und sichergestellt werden.
Jedweder Waffenbesitz bei „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ birgt das unkalkulierbare Risiko, dass sie diese Waffen einsetzen, um gegen sie gerichtete staatliche Maßnahmen abzuwehren. Szeneangehörige, die über waffenrechtliche Erlaubnisse verfügen, stellen daher eine besondere Risikogruppe dar.
Im Jahr 2023 wurden rund 200 „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen oder durch diese Personen im Zusammenhang mit einer staatlichen Maßnahme, wie etwa einer vorangegangenen Anhörung durch die Waffenbehörde, freiwillig zurückgegeben. Ende 2023 verfügten noch etwa 400 „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ über mindestens eine waffenrechtliche Erlaubnis.