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„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“.

Die Aufnahmezeigt einen Reisepass mit Bundesadler und dem Aufdruck „Deutsches Reich“

„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen – unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht – die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen.

Durch dieses bewusste teilweise oder sogar vollständige Negieren der deutschen Rechtsordnung besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ vorsätzlich gegen diese verstoßen, indem zum Beispiel vorsätzlicher Widerstand gegen staatliche Maßnahmen geleistet wird. Zudem entwickeln sich aus der ideologisch begründeten Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland in einigen Fällen Systemüberwindungsfantasien, die sich bisweilen in konkreten Umsturzplänen manifestieren.

Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ fällt mitunter schwer. „Reichsbürger“ lehnen die Bundesrepublik ab und berufen sich auf ein wie auch immer geartetes „Deutsches Reich“. „Selbstverwalter“ dagegen behaupten, aus dem Staat „austreten“ zu können und reklamieren dabei für sich rechtliche und territoriale Autonomie.

Verschwörungsnarrative spielen in der „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Szene eine wichtige Rolle. Beispielsweise beziehen sich einige Szeneangehörige auf die S.H.A.E.F.-Gesetzgebung und erklären diese für weiterhin gültig.

Personenpotenzial

Deutschlandweit waren der „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Szene im Jahr 2022 etwa 23.000 Personen (2021: 21.000) zuzurechnen. Der Anteil derer, die zugleich als Rechtsextremisten einzuordnen sind, beläuft sich dabei auf 1.250 Personen (2021: 1.150).

Die Zahl der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“, die als gewaltorientiert eingestuft werden, liegt bei 2.300 Personen (2021: 2.100). Dazu zählen gewalttätige Szeneangehörige sowie Personen, die beispielsweise durch Drohungen oder gewaltbefürwortende Äußerungen und entsprechende ideologische Bezüge auffallen.

Entwicklung des Personenpotenzials „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ 2020 bis 2022.

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Der Anstieg des Personenpotenzials ist weiterhin ganz wesentlich auf die Proteste gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen zurückzuführen, an denen sich „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ beteiligten, ohne sie jedoch zu prägen. Das Demonstrationsgeschehen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und dessen politischen sowie wirtschaftlichen Folgewirkungen trug ebenfalls zu diesem Anstieg bei.

Extremistische Straf- und Gewalttaten von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“

Die Gesamtzahl extremistischer Straf- und Gewalttaten von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ ist im Vergleich zum Vorjahr um 34,3 % gestiegen (2021: 1.011; 2022: 1.358). Auch bei den Gewalttaten war im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg zu verzeichnen, und zwar um 55,4 % (2021: 184; 2022: 286). Hierzu zählten neben Erpressungs- (203) und Widerstandsdelikten (67) insbesondere 2 versuchte Tötungsdelikte.

Entwicklung der extremistischen Straf- und Gewalttaten von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ 2020 bis 2022.

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Der Anstieg des Personenpotenzials ist weiterhin ganz wesentlich auf die Proteste gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen zurückzuführen, an denen sich „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ beteiligten, ohne sie jedoch zu prägen. Das Demonstrationsgeschehen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und dessen politischen sowie wirtschaftlichen Folgewirkungen trug ebenfalls zu diesem Anstieg bei.

Gruppierungen

„Königreich Deutschland“ (KRD)
Die „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Gruppierung „Königreich Deutschland“ (KRD) baute ihre Infrastruktur im Jahr 2022 durch Immobilienerwerbe in Sachsen aus und wirbt weiterhin massiv um Einzahler für ihre „Dorfprojekte“. Interessenten werden aufgefordert, Kapitalüberlassungsverträge zu unterzeichnen oder das Geld unmittelbar an den jeweiligen Veräußerer der Grundstücke zu zahlen.



Mehr zum Thema: „Das ,Königreich Deutschland‘ – Staatssimulation von ,Reichsbürgern‘ und ,Selbstverwaltern‘“

„Geeinte deutsche Völker und Stämme“ (GdVuSt)
Bei der Gruppierung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ (GdVuSt), die im März 2020 verboten worden war, konnten im Berichtsjahr vermehrt Nachfolgebestrebungen festgestellt werden. Am 4. Mai 2022 wurden mehrere Objekte der GdVuSt durchsucht. Gegen die zentrale Führungsperson wurde hierbei ein Haftbefehl vollstreckt. Im November 2022 wurde sie unter anderem wegen Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot (§ 85 Strafgesetzbuch, StGB) und Volksverhetzung (§ 130 StGB) zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt.

„Vereinte Patrioten“
In den Telegram-Chatgruppen der „Vereinten Patrioten“, denen sowohl Personen aus dem Delegitimierungsspektrum als auch Rechtsextremisten und „Reichsbürger“ angehörten, wurde das Ziel eines Systemumsturzes erörtert, um sich den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie zu widersetzen. Die Gruppierung verfolgte das Ziel, bürgerkriegsähnliche Zustände in der Bundesrepublik Deutschland durch Anschläge auf Kritische Infrastruktur und einen daraus resultierenden Blackout herbeizuführen. Parallel dazu sollte der Bundesminister für Gesundheit Prof. Dr. Karl Lauterbach unter Inkaufnahme der Tötung seiner Personenschützer entführt werden. Im Oktober 2022 wurde eine der „Reichsbürger“-Szene zuzurechnende mutmaßliche Führungsaktivistin der „Vereinten Patrioten“ festgenommen. Die Ruhestandsbeamtin soll den „administrativen“ Arm der Gruppierung geleitet haben.

Gruppierung um Heinrich XIII. P. R.
Die Umsturzpläne einer mindestens seit November 2021 existierenden Gruppierung um Heinrich XIII. P. R. haben vor Augen geführt, welche Gefährdung von „Reichsbürgern“ ausgeht, die im öffentlichen Dienst tätig sind oder waren. Die Gruppierung plante, an einem „Tag X“ durch einen eigens dafür gebildeten militärischen Arm die staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen. Anschließend sollte ein „Rat“ die politische Kontrolle übernehmen.

picture alliance/dpa | Bodo Schackow Polizeieinsatz am 7.12.2022 in Bad Lobenstein (Thüringen).

Ideologisch und personell war die Gruppierung äußerst heterogen und bediente sich „Reichsbürger“-typischer Verschwörungsnarrative wie der S.H.A.E.F.-Gesetzgebung und der QAnon-Theorie, rechtsextremistischer Ideologeme sowie esoterischer Versatzstücke.

Am 7. Dezember 2022 erfolgten schließlich im Rahmen eines durch die Bundesanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahrens unter anderem wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a StGB umfassende Exekutivmaßnahmen gegen die Gruppierung. Unter den Beschuldigten befinden sich unter anderem aktive und ehemalige Bundeswehrangehörige und Polizeibeamte.

Mehr zum Thema: „Exekutivmaßnahmen gegen Vereinigung aus ,Reichsbürger‘-Spektrum“

Entstehung einer Mischszene mit Rechtsextremisten und „Delegitimierern“

Aus der Anschlussfähigkeit der „Reichsbürger“-Szene an Extremisten weiterer Phänomenbereiche erwächst ein besonderes Gefährdungspotenzial.
Die Gruppierung um den „Reichsbürger“ Heinrich XIII. P. R. ist das im Berichtsjahr herausragendste Beispiel für die Bildung einer neuen gewaltorientierten Mischszene. So flossen „Reichsbürger“-Ideologien, Verschwörungserzählungen aus dem Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ und rechtsextremistische Narrative zusammen.

Die Absicht der Gruppierung, das politische System in Deutschland mittels Waffengewalt zu beseitigen, belegt die hohe Gewaltbereitschaft in Teilen der „Reichsbürger“-Szene und deren Attraktivität auch für Anhänger anderer extremistischer Phänomenbereiche.

Mehr zum Thema: Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates.

Waffenaffinität

0 :Bis Ende 2022 kam es zu Entziehungen waffenrechtlicher Erlaubnisse bei mindestens 1.100 „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“.

„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zeichnen sich durch eine Affinität zu Waffen aus, was in Verbindung mit der verfassungsfeindlichen Ideologie ein erhebliches Gefährdungspotenzial birgt. Die Entwaffnung der Szeneangehörigen bleibt daher ein vordringliches Ziel der Sicherheitsbehörden.
Bis Ende 2022 kam es zu Entziehungen waffenrechtlicher Erlaubnisse bei mindestens 1.100 „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“. Ende 2022 verfügten noch etwa 400 „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ über mindestens eine waffenrechtliche Erlaubnis.

„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ setzen ihre Waffen beispielsweise ein, um massiven Widerstand gegen staatliche Maßnahmen zu leisten – und lassen dadurch ein hohes Gewaltpotenzial erkennen.
So schoss ein als „Reichsbürger“ bekannter Mann in Boxberg (Baden-Württemberg) am 20. April 2022 während einer Durchsuchung zur Sicherstellung von Waffen auf die eingesetzten Kräfte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) mit einem Kalaschnikow-Nachbau, als diese sich dem Gebäude näherten.
Dabei wurden zwei SEK-Beamte verletzt.
Im Rahmen der Durchsuchung konnten in der Wohnung zahlreiche Waffen sichergestellt werden.