Rekrutierung von Kämpfern für die PKK in Deutschland.
Die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) führt bereits seit Jahrzehnten unter anderem in der Türkei einen Guerillakampf. Ziel ihres Kampfes ist eine größere politische und kulturelle Eigenständigkeit des kurdischen Bevölkerungsanteils. Dabei schreckt die Organisation auch nicht vor dem Einsatz terroristischer Mittel zurück. Nicht nur vor diesem Hintergrund ist die PKK in Deutschland seit 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt und wird seit 2002 auf der EU-Terrorliste geführt.
Zur Durchsetzung der oben genannten Ziele verfügt die Organisation in der Türkei, der nordirakischen Grenzregion und im Norden Syriens mit den „Volksverteidigungskräften“ („Hêzên Parastina Gel“ - HPG) und den „Volksverteidigungseinheiten“ („Yekîneyên Parastina Gel“ - YPG) über bewaffnete Guerillaeinheiten, die sich schon seit Jahren in militärischen Auseinandersetzungen mit den türkischen Streitkräften befinden.
Während die HPG direkt der PKK zuzuordnen sind, handelt es sich bei den YPG um die bewaffneten Einheiten der syrischen PKK-Schwesterorganisation „Partei der Demokratischen Union“ (PYD). Aufgrund anhaltenden Konfliktlage ist die PKK bestrebt, insbesondere jugendliche Anhänger zu indoktrinieren und für den bewaffneten Kampf zu rekrutieren. Diese Bemühungen wurden durch die türkischen Militäroffensiven in den Jahren 2018 und 2019 in Nordsyrien beziehungsweise im Nordirak im Jahr 2020 weiter verstärkt.
Die Mehrheit der Ausreisewilligen wird dabei durch PKK-Kader angeworben. Eine besondere Bedeutung kommt hier der PKK-Jugendorganisation „Komalên Ciwan“ / „Tevgera Ciwanên Şoreşger“ (TCŞ) zu.
Vor diesem Hintergrund stellen die Rekrutierungsbemühungen der PKK seit Jahren europaweit ein zentrales Aktionsfeld der Organisation dar.
Der Rekrutierungsprozess
In Europa werden geeignete Personen nach erfolgreicher Anwerbung zunächst in Rekrutierungscamps meist im benachbarten europäischen Ausland geschult. Diese beinhalten sowohl ideologische Schulungen als auch Prüfungen der grundsätzlichen Tauglichkeit für den bewaffneten Kampf. Im Anschluss werden die Rekruten in die Kampfgebiete geschickt.
Die Ausreisen dorthin erfolgen einzeln oder in Kleingruppen. Bei Ankunft vor Ort werden die Rekruten zunächst zu einer militärischen Ausbildung verbracht. Im Anschluss erfolgt die Verbringung in die jeweiligen Einsatzgebiete, etwa in die Türkei oder in den Norden Syriens.
In einigen Fällen erfolgen die Ausreisen auch selbstständig, das heißt ohne vorherigen Kontakt zu PKK-Strukturen. In diesen Fällen wenden sich die Personen erst in den Kampfgebieten als Freiwillige an die örtlichen Strukturen der PKK. Eigenständig ausgereiste Personen motivierte in den vergangenen Jahren hauptsächlich der Kampf der Kurden gegen den „Islamischen Staat“ (IS). Sie stellen knapp ein Drittel des Personenkreises, der durch die Organisation bislang für den bewaffneten Kampf gewonnen werden konnte. Nach der militärischen Niederlage des IS rückte vermehrt der Kampf gegen das türkische Militär und für den Erhalt der kurdischen Quasi-Autonomiegebiete in Nordsyrien in den Vordergrund der Rekrutierungsbemühungen.
Seit Juni 2013 haben sich rund 295 Personen aus Deutschland in die kurdischen Kampfgebiete im Südosten der Türkei, im Nordirak und in Nordsyrien begeben. Von den Ausgereisten sind mittlerweile rund 150 Personen nach Deutschland zurückgekehrt. Mehr als 30 Personen sind in den Kampfgebieten ums Leben gekommen.
Berichte von Rückkehrern, aber auch Meldungen der PKK über im Kampf gefallene Personen belegen, dass in Deutschland rekrutierte Personen tatsächlich militärisch ausgebildet und teils im Kampf eingesetzt werden. Dabei bleiben sie zum Teil über viele Jahre in den Kampfgebieten.
Allein 2019 wurden mindestens vier Fälle bekannt, in denen deutsche Staatsangehörige im Einsatz für die Guerillaeinheiten der PKK ums Leben gekommen sind:
So berichteten PKK-nahe Medien beispielsweise Anfang 2019 über einen deutschen Staatsangehörigen, der im Juli 2018 im Alter von 23 Jahren bei einer Militäroperation der türkischen Armee in der türkischen Provinz Hakkâri getötet worden war. Der Deutsche sei bereits in Deutschland in verschiedenen „linken Gruppen“ aktiv gewesen und habe sich nach seiner Ausreise nach „Kurdistan“ im Jahr 2013 den HPG angeschlossen.
Im Juni 2019 gaben die HPG auf ihrer Webseite den Tod einer 33-jährigen deutschen Staatsangehörigen bekannt, die im April 2019 bei einem Luftangriff des türkischen Militärs auf die sogenannten Medya-Verteidigungsgebiete im Nordirak getötet worden sein soll. Sie habe sich im Jahr 2017 der PKK angeschlossen und sei zuletzt als Kommandantin der YJA-Star, der Fraueneinheit der HPG, eingesetzt worden. Gerade ihre herausgehobene Stellung wurde in der Erklärung der HPG mehrfach betont. Bereits einen Tag später wurde die getötete Deutsche von PKK-Anhängern auf dem „15. Zilan-Frauenfestival“ in Leverkusen als „Märtyrerin“ genannt und verehrt. Auch die linksautonome „radikale linke | berlin“ veröffentlichte einen Nachruf zum Gedenken an die Verstorbene. Darin wurde ihr Kampf für den revolutionären Gedanken gelobt sowie die Tatsache, dass sie sich für ein „Leben in der Revolution“ entschieden habe.
In beiden Fällen gehörten die getöteten deutschen PKK-Kämpfer vor ihrer Ausreise und der Rekrutierung der deutschen linksextremistischen Szene an bzw. waren in dieser Szene aktiv. Im Rahmen gemeinsamer Aktionen und Veranstaltungen mit PKK-nahen Gruppierungen waren sie in Kontakt mit der PKK gekommen. Dies zeigt, dass für die Rekrutierung geeignete Personen nicht nur über die lokalen örtlichen Vereinsstrukturen oder durch PKK-Kader angeworben werden, sondern auch die zahlreichen PKK-Veranstaltungen Rekrutierungszwecken dienen.
Solange die bewaffneten Konflikte in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei, in Nordsyrien und im Nordirak andauern, ist davon auszugehen, dass auch die Rekrutierungsaktivitäten der PKK in Deutschland auf hohem Niveau verbleiben werden.
Märtyrerverehrung und Märtyrerkult
Die im "Freiheitskampf" getöteten Personen werden von der PKK als "Märtyrer" verehrt.
Als "Märtyrer" werden in diesem Kontext Personen bezeichnet, die in irgendeiner Weise für die Organisation ihr Leben gelassen haben. Dabei handelt es sich nicht nur um Selbstmordattentäter oder Kämpfer der PKK-Guerilla, sondern auch um verstorbene Anhänger, die von der Organisation wegen ihrer politischen, ideologischen oder propagandistischen Leistungen als Vorbilder präsentiert und zur Anwerbung neuer Mitglieder genutzt werden.
Die verschiedenen PKK-Guerillaeinheiten berichten über ihre Pressestellen sowie auf ihren Internetpräsenzen regelmäßig über den Tod ihrer gefallenen Kämpfer. Darunter befinden sich immer wieder auch sogenannte Internationalisten, also ausländische Kämpfer der Guerillaeinheiten, zu denen auch die deutschen PKK-Kämpfer zählen.
Die PKK nutzt das propagandistische Potenzial ihrer getöteten ausländischen Kämpfer und instrumentalisiert deren Tod regelmäßig für die eigenen Zwecke. Die gefallenen "Internationalisten" werden von der Organisation dabei in gleicher Weise als "Märtyrer" verehrt, wie ihre kurdischen Kämpfer. Der Märtyrerkult der Organisation dient sowohl der Motivation der eigenen Anhänger als auch der Rekrutierung von neuen Unterstützern bzw. Aktivisten und potenziellen "Freiheitskämpfern".
Jährliche Veranstaltungen der PKK
Die PKK-Strukturen in Deutschland richten jährlich eine Vielzahl wiederkehrender Großveranstaltungen aus. Deren Ziel ist – neben der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und der stärkeren Bindung der eigenen Anhänger an die Organisation – insbesondere die Generierung einer größeren Aufmerksamkeit für die eigenen Belange, vor allem im politischen Raum. Nicht zuletzt dienen diese Veranstaltungen aber auch der Gewinnung neuer Anhänger, Unterstützer und potenzieller Rekruten.
Die nachfolgend aufgeführten Veranstaltungen zählen zu den wichtigsten jährlichen PKK-Veranstaltungen:
Das kurdische Neujahrsfest „Newroz“
Bei den alljährlich im März in Deutschland stattfindenden Newroz Feierlichkeiten wird neben dem Beginn des neuen Jahres auch der Frühlingsanfang gefeiert.
Vor dem Hintergrund einer alten kurdischen Legende wird Newroz auch als Fest des Widerstands gegen Tyrannei und als Symbol für den kurdischen Freiheitskampf verstanden.
Die Feierlichkeiten stellen einen der Höhepunkte der regelmäßig stattfindenden Großveranstaltungen aus dem kurdischen und dem PKK-nahen Spektrum dar.
Das „Jugend-, Kultur- und Sportfestival“ der PKK
An dem bereits in verschiedenen europäischen Ländern ausgerichteten Festival nehmen jedes Jahr zahlreiche Jugendliche aus ganz Europa teil. Die Bindung der jugendlichen Anhänger an die Organisation, insbesondere die Vermittlung der Bedeutung und Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes in den kurdischen Siedlungsgebieten, steht dabei im Vordergrund. Letzteres wird überwiegend durch Gedenken an die „Märtyrer“ der PKK vermittelt. Reden von Angehörigen oder Hinterbliebenen der „Märtyrer“, die Anbringung zahlreicher Bilder und Plakate der Gefallenen und eigens dafür errichtete Gedenkzelte spielen dabei eine zentrale Rolle. Das Festival firmierte zuvor unter der Bezeichnung „Mazlum-Doğan-Festival“. Im Laufe der Veranstaltung wechseln sich sportliche Wettkämpfe wie etwa Fußballturniere, kurdische Musik und Tanzbeiträge bzw. Theateraufführungen mit Redebeiträgen, in denen hauptsächlich politische Inhalte transportiert werden, ab. Für die jüngeren Besucher werden verschiedene Sport- und Geschicklichkeitsspiele angeboten. Die sportlichen Wettkämpfe sollen dabei in erster Linie dazu dienen, eine stärkere Identifikation unter den jugendlichen Anhänger zu schaffen bzw. ein erstes Interesse für die Organisation zu wecken.
Das „Zîlan-Frauenfestival“
Das „Zîlan-Frauenfestival“ findet seit 2004 in Deutschland alljährlich statt. Eingebettet in ein umfangreiches Kulturprogramm mit musikalischen und folkloristischen Darbietungen sowie einem eigenen Kinderprogramm werden politische Themen, vor allem die Stellung der Frauen und deren systematische Benachteiligung, erörtert.
Bei der Namensgeberin des Festivals, Zeynep Kınacı (Deckname: Zîlan), handelt es sich um eine Selbstmordattentäterin der PKK, die sich am 30. Juni 1996 bei einer militärischen Feier in der Türkei selbst in die Luft sprengte. Bei diesem Selbstmordanschlag kamen sieben Menschen ums Leben. Dreiunddreißig weitere Personen wurden verletzt. Für die Tat wird Zîlan von PKK-Anhängern als "Märtyrerin" und Vorbild verherrlicht.
Das Festival soll vor allem dazu dienen, die weiblichen Anhänger stärker an die Organisation zu binden und neue Anhänger zu gewinnen. Das Beispiel zeigt, dass die Veranstaltungen der PKK-nahen Frauenorganisationen alles andere als harmlose Festivals oder Kulturveranstaltungen sind.
Das „Internationale Kurdische Kulturfestival“
Dieses Festival findet seit 1992 jedes Jahr im September statt und hatte in der Vergangenheit bis zu 40.000 Teilnehmer. Bislang wurde das Festival in Deutschland ausgerichtet. Im Jahr 2019 fand erstmals eine Ausrichtung im niederländischen Maastricht statt. Das Festival stellt einen der Höhepunkte der regelmäßig stattfindenden PKK-Großveranstaltungen dar. Neben der von der PKK propagierten "Pflege der kurdischen Kultur" dient das Festival dabei vor allem der Verbreitung politischer Botschaften der Organisation. Zudem ist es ein wichtiger Treffpunkt von PKK-Kadern. Das Rahmenprogramm besteht weitgehend aus Musikdarbietungen und politischen Redebeiträgen, zu deren Darbietung zumeist eine große Bühne aufgebaut wird. Regelmäßig stehen zudem verschiedene Stände zur Verpflegung der Besucher und zum Erwerb kurdischer Literatur oder PKK-Propagandamaterialien zur Verfügung. Dem Festival vorgeschaltet ist jedes Jahr der obligatorische mehrtägige traditionelle „Meşa Dirêj“, der „Lange Marsch“ der Jugendlichen. An diesem beteiligten sich zumeist Anhänger der TCŞ. Das Ende des mehrtägigen "Langen Marsches" der Jugendlichen fällt traditionell mit dem Tag des Festivals zusammen, sodass die jugendlichen Teilnehmer zum Abschluss des "Langen Marsches" auf dem Festivalgelände einziehen können, teilweise gekleidet in Guerillauniformen der PKK.
Mit dem Ziel, ihre Ruhe- und Rückzugsräume in Europa nicht zu gefährden, entspricht es der Strategie der PKK, den verschieden Festivals einen Volksfestcharakter zu verleihen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Festigung des Alleinvertretungsanspruches für alle Kurden und dem Ziel, als alleinige Ansprechpartnerin in der Kurdenfrage angesehen zu werden, ist die Organisation regelmäßig darum bemüht, negative Schlagzeilen in Zusammenhang mit der Durchführung ihrer Großveranstaltungen zu vermeiden.
Dennoch verdeutlicht die von den PKK-Anhängern jährlich öffentlich praktizierte Verherrlichung ihrer sogenannten „Märtyrer“ das klare Bekenntnis zu den historisch gewachsenen und nach wie vor praktizierten terroristischen Zielen und Bestrebungen der Organisation. Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, da die Organisation in Deutschland im Regelfall bestrebt ist, jede Assoziation zwischen ihr und den Themen Gewalt und Terror zu vermeiden. Die Gefährlichkeit und die Wirkmächtigkeit dieser Propaganda – vor allem gegenüber Jugendlichen und jungen Erwachsenen – zeigen die gerade auch im Rahmen dieser Veranstaltungen immer wieder erfolgreichen Rekrutierungsbemühungen der PKK eindrücklich.