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Hohes Gewaltpotenzial im Kampf um linksextremistische „Freiräume“.

Demonstranten zünden während einer Demonstration gegen die geplante Räumung der Szene-Kneipe Syndikat auf einem Dach Rauchpatronen.

Im Kampf von Linksextremisten für selbstbestimmte „Freiräume“ und ihre damit verbundenen politischen Ziele kommt es immer wieder zu Straf- und Gewalttaten. Seit 2019 zeigt sich noch einmal besonders das damit verbundene hohe Gewaltpotenzial. Räumungen von Szeneobjekten oder staatliche Maßnahmen wie Brandschutzbegehungen oder Durchsuchungen werden von der linksextremistischen Szene als Angriff verstanden. Die Folge sind teils lebensgefährliche Attacken auf die Polizei, Brandstiftungen etwa gegen Immobilienunternehmen und eine Vielzahl von Sachbeschädigungen und anderen Straftaten, die bundesweit und zum Teil auch im Ausland in Solidarität mit den linksextremistischen Besetzern verübt werden.

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„Freiräume“ und ihre Bedeutung für die Szene

Die Aufnahme zeigt Straßenschilder Liebigstraße 34, Ecke Rigaer Straße in Berlin
picture alliance / SULUPRESS.DE | Marc Vorwerk/SULUPRESS.DE Liebigstraße Ecke Rigaer Straße in Berlin

Die erste Hausbesetzung in Deutschland fand im September 1970 in Frankfurt am Main statt. Wenig später wurden auch in Berlin erste Häuser besetzt. Die Motive für solche Besetzungen waren von Beginn an sehr verschieden. Neben „Instandbesetzungen“ für die Nutzbarmachung leer stehender Häuser spielten alternative Lebensentwürfe oder Utopien von der friedlichen Umgestaltung der Gesellschaft als Prozess vor allem für junge Leute eine Rolle. Daneben kommt „Freiräumen“ bis heute eine wichtige Bedeutung bei der Umsetzung der politischen Ziele im Linksextremismus zu.

Linksextremisten lehnen das bestehende Gesellschaftssystem ab und erkennen die öffentliche Ordnung, den Staat sowie dessen Regelungs- und Gewaltmonopol nicht an. Aus diesem Grund ignorieren sie bestehende Eigentumsverhältnisse und errichten Orte, an denen sie selbst über die Regeln des Zusammenlebens bestimmen wollen. Diese „Freiräume“ sollen aus Sicht von Linksextremisten frei von rechtsstaatlicher Einflussnahme und Überwachung sowie „kapitalistischer Verwertungslogik“ sein. An diesen Orten soll das staatliche Gewaltmonopol außer Kraft gesetzt sein und alternative Formen des Zusammenlebens erprobt werden können. Solche „Freiräume“ können beispielsweise besetzte Häuser, kollektive Wohnprojekte oder selbstverwaltete Kulturzentren sein. Neben einer hohen symbolischen Bedeutung für den „Widerstand“ haben „Freiräume“ auch eine praktische Bedeutung für die linksextremistische Szene: Häufig werden sie als Ausgangspunkt vor und Rückzugsort nach militanten Aktionen und Straftaten genutzt. Die bekanntesten noch verbliebenen linksextremistischen Szeneobjekte sind die „Rigaer94“ in Berlin und die „Rote Flora“ in Hamburg. In Leipzig betrachtet die dortige autonome Szene den kompletten Stadtteil Connewitz als ihren „Freiraum“.

Gewalt als Reaktion auf den Verlust von „Freiräumen“

Auf den drohenden Verlust von „Freiräumen“ reagieren Linksextremisten regelmäßig äußerst aggressiv. Auslöser können das Auslaufen von Nutzungs- oder Mietverträgen, städtische Umstrukturierungsmaßnahmen in der unmittelbaren Nähe von Szeneobjekten oder Eigentümerwechsel, aber auch staatliche Maßnahmen wie Durchsuchungen oder Räumungen auf Antrag der Hauseigentümer sein. Linksextremisten verstehen solche Maßnahmen als „Angriffe“ auf ihre „Freiräume“. Sie reagieren darauf regelmäßig mit Protesten sowie Sachbeschädigungen und Brandstiftungen an „Luxusimmobilien“ oder Fahrzeugen, Maschinen und Gebäuden von Bau- oder Immobilienunternehmen. Zudem gehört die Veröffentlichung von Bildern und anderen personenbezogenen Daten der mutmaßlich Verantwortlichen genauso zum typischen Vorgehen gewaltbereiter Linksextremisten wie Drohungen gegen diese Personen.

Auch gezielte Angriffe auf Polizisten oder Gebäude und Fahrzeuge der Polizei werden häufig mit der Verteidigung von Szeneobjekten begründet. Bei Demonstrationen und Protesten im Umfeld von Räumungen oder Hausdurchsuchungen, bei denen sich Linksextremisten und die Polizei gegenüberstehen, werden Polizeikräfte regelmäßig erheblich attackiert. Zu gezielten Angriffen durch Steinwürfe oder den Bewurf mit Pyrotechnik kommt es darüber hinaus aber auch im zeitlichen Kontext mit Räumungen oder auch gänzlich unvermittelt etwa bei Streifenfahrten in der Nähe besetzter Objekte.

Mittels militanter Aktionen und Straftaten versuchen gewaltbereite Linksextremisten, den Preis für Sanierungs- oder Neubauvorhaben sowie Räumungen oder Hausbegehungen von Szeneobjekten in die Höhe zu treiben. Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft sollen dahingehend beeinflusst werden, von solchen Maßnahmen abzusehen. Daneben versuchen Linksextremisten mit ihrem Kampf für „Freiräume“ eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Dabei soll die öffentliche Debatte über Gentrifizierung, steigende Mieten und Knappheit an bezahlbarem Wohnraum für eigene Ziele instrumentalisiert, zivildemokratischer Protest radikalisiert und ideologisch indoktriniert werden.

Aufgrund von in den Jahren 2020 und 2021 erfolgten Räumungen linksextremistischer Szeneobjekte gerät die linksextremistische Hausbesetzerszene vor allem in Berlin zunehmend unter Druck. So wurden in Berlin im August und Oktober 2020 die Szeneobjekte „Syndikat“ und „Liebig34“ geräumt. Darüber hinaus gab es Durchsuchungen in der „Rigaer94“ und der anarchistischen Buchhandlung „Kalabal!k“. Im März und im Oktober 2021 folgten die Räumungen der Szenekneipe „Meuterei“ des besetzten „Köpi-Wagenplatzes“. Hinzu kamen eine Brandschutzbegehung und eine polizeiliche Durchsuchung in der „Rigaer94“.

Die Räumung der „Liebig34“

Solidaritätsaktion zugunsten der „Liebig 34“
picture alliance / SULUPRESS.DE | Marc Vorwerk/SULUPRESS.DE Solidaritätsaktion zugunsten der „Liebig 34“

Das Szeneobjekt „Liebig34“, ein besetztes Gebäude in der Liebigstraße 34 in Berlin-Friedrichshain, war zusammen mit der „Rigaer94“ eines der bedeutendsten besetzten Objekte der linksextremistischen Szene und wichtiges Symbol im Kampf für den Erhalt von „autonomen Freiräumen“. Die Bewohner der „Liebig34“ betrieben hier ein „anarcha-queer-feministisches“ Hausprojekt, in dem „kollektives Leben ausprobiert“ und „antipatriarchische Strukturen“ entwickelt und gelebt werden sollten. Rund um die „Liebig34“ kam es immer wieder zu Straftaten von Linksextremisten.

Bereits Ende 2018 war ein Pachtvertrag für das Hausprojekt ausgelaufen und nicht verlängert worden. Die Besetzer weigerten sich trotz mehrfacher Aufforderung, das Haus zu verlassen. Die daraufhin angestrebte Räumungsklage entschied das Landgericht Berlin zugunsten der Eigentümergesellschaft.

Schon die Gerichtsverhandlung wurde durch massive Proteste und Straftaten von Linksextremisten begleitet. Diese steigerten sich noch einmal rund um den Tag der Räumung am 9. Oktober 2020. Die Besetzer hatten hier durch zahlreiche bauliche Veränderungen Hindernisse und Barrikaden errichtet, wodurch sich die Polizei nur unter Einsatz technischen Geräts Zugang zum Haus verschaffen konnte. Währenddessen protestierten rund 1.000 Personen in der Nähe des Objekts gegen dessen Räumung. Aus dieser Menge heraus wurden Steine und Flaschen auf Polizeikräfte geworfen und Fahrzeuge angezündet. Auch im Rahmen einer am Abend nach der Räumung stattfindenden Demonstration kam es zum Abbrennen von Pyrotechnik, Stein- und Flaschenwürfen auf die Polizei sowie Sachbeschädigungen und Brandstiftungen an Fahrzeugen und Geschäften.

Bundesweit zeigten sich linksextremistische Bündnisse und Gruppierungen solidarisch mit der „Liebig34“ und riefen zu deren Verteidigung auf. Auf der linksextremistischen Internetplattform „de.indymedia“ wurde dazu aufgerufen, in Anlehnung an die Hausnummer des Gebäudes in der Liebigstraße 34 Millionen Euro Sachschaden zu verursachen.

Tatsächlich wurde in der Folge eine Vielzahl linksextremistisch motivierter Straftaten mit der Räumung und zum Teil auch mit dem genannten Aufruf begründet. Unter anderem bekannte sich eine „Feministisch-Revolutionär-Anarchistische-Zelle“ zu einem Brandanschlag auf einen Kabelschacht der Berliner S-Bahn, der zu mehrtägigen Ausfällen und Verspätungen im Bahnbetrieb führte. In der Nacht auf den 7. Oktober griffen vermummte Täter ein Gebäude der Berliner Bereitschaftspolizei an. Sie verschlossen die Türen des Gebäudes mit Bügelschlössern und bewarfen dieses mit Farbe und Steinen, beschädigten Dienstfahrzeuge und davor geparkte private Motorräder der Bediensteten. In einem noch am selben Tag auf „de.indymedia“ veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben bekannten sich anonyme Autoren dazu, der „34 Mio €-Rechnung um ein paar tausend Euro näher gekommen“ zu sein.

Brandschutzbegehung in der „Rigaer94“

Am 17. Juni 2021 wurde eine notwendige Brandschutzbegehung in der „Rigaer94“ durchgeführt. Da sich die Bewohner geweigert hatten, dem Brandschutzsachverständigen in Begleitung der Polizei Zutritt zum Objekt zu gewähren, musste der Einlass unter Anwendung unmittelbaren Zwangs durchgesetzt werden.

Bei dem teilbesetzten Gebäude in der Rigaer Straße 94 im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg handelt es sich um den derzeit bedeutendsten „Freiraum“ der linksextremistischen Szene Berlins.

Seit den 1990er-Jahren haben Linksextremisten in dem Gebäudekomplex Wohnungen besetzt. Seit Jahren kommt es rund um das Gebäude zu Angriffen auf die Polizei. Zudem fungiert das Objekt als Ausgangspunkt und Rückzugsort für militante Aktionen und Straftaten der linksextremistischen Szene.

Die Aufnahme zeigt ein Räumfahrzeug der Polizei vor Barrikaden in der Rigaer Straße in Berlin am 16.06.2021
picture alliance/dpa | Andreas Rabenstein Straßenbarrikaden in der Rigaer Straße in Berlin am 16. Juni 2021

Auch bei dieser Brandschutzbegehung mussten zunächst Barrikaden beseitigt und mehrere Türen mit technischem Gerät geöffnet werden. Dabei wurden Polizeikräfte unter anderem mit Pyrotechnik und Steinen angegriffen. Bei einer am Abend nach der Begehung durchgeführten Demonstration kam es erneut zu Angriffen mit Flaschen- und Steinwürfen auf die Polizei. In der näheren Umgebung der „Rigaer94“ wurden bis in die Nacht hinein zahlreiche Brandstiftungen und Sachbeschädigungen verübt.

Neben zahlreichen klandestin verübten Straftaten im Vorfeld kam es insbesondere am Tag vor der Brandschutzbegehung auch zu gewaltsamen Ausschreitungen von Linksextremisten. Eine etwa fünfzigköpfige Personengruppe errichtete in der Nähe der „Rigaer94“ Barrikaden aus Reifen, Baumaterialien, Müllcontainern und Stacheldraht und setzte diese teilweise in Brand. Mehrere Polizeikräfte wurden durch Angriffe mit Steinen, Flaschen und pyrotechnischen Gegenständen verletzt. Auf dem Twitter-Account „rigaer94“ hieß es dazu:

„Wir haben uns ins Haus zurückgezogen. Es wird weiter krachen, wir lassen und nicht vertreiben! Wer Wasserwerfer sät wird Steine ernten. Autonomes Naturgesetz“

Auch in anderen Städten protestierten Linksextremisten gegen die Begehung der „Rigaer94“ und verübten Straftaten. In Leipzig zog am 19. Juni 2021 eine Gruppe von 50 bis 100 teilweise vermummter Personen in einer sogenannten „Scherbendemo“ durch die Stadt und beschädigte unter anderem die Fassade einer Bankfiliale und mehrere parkende Fahrzeuge. Als „Scherbendemos“ bezeichnen Linksextremisten Aufzüge, die marodierend durch Straßen oder Stadtviertel ziehen. Die Teilnehmer sind meistens vermummt und bestrebt, ein größtmögliches Maß an Zerstörung zu erreichen.

Räumung des „Köpi-Wagenplatzes“

Auf den Grundstücken in der Köpenicker Straße 133 – 136 in Berlin-Mitte befand sich bis zu dessen Räumung am 15. Oktober 2021 das linksextremistische Szeneobjekt „Köpi-Wagenplatz“. Auf der Brachfläche waren zahlreiche Bau- und Wohnwagen, Unterstände sowie weitere wohnwagenähnlichen Strukturen errichtet worden. Daran angrenzend in der Köpenicker Straße 137 befindet sich nach wie vor ein von Linksextremisten seit 1990 besetztes Gebäude, in dem sich neben Wohnungen auch Treff- und Veranstaltungsräume befinden.

Die Aufnahme zeigt Demonstrationsteilnehmer mit einem Transparent "Köpi Platz till death" am 2. Oktober 2021 in Berlin gegen die Räumung eines Wagenplatzes in der Köpenicker Straße
picture alliance / dpa | Fabian Sommer Demonstration am 2. Oktober 2021 in Berlin



Die Räumung des Wagenplatzes konnte nur unter Einsatz schweren technischen Geräts stattfinden, da die Besetzer den das Grundstück umgebenden Zaun unter anderem mit Blechplatten und Stacheldraht verstärkt hatten. Vor Ort kam es zudem zu Protesten von Unterstützern der Besetzer. Sowohl aus dem Protestspektrum wie auch vom Gelände des Wagenplatzes aus wurde die Polizei immer wieder körperlich angegriffen und mit Steinen oder Flaschen beworfen.

Am Abend demonstrierten rund 7.000 Personen gegen die erfolgte Räumung des „Köpi-Wagenplatzes“. Hierzu hatte die linksextremistische Szene bereits in den Wochen zuvor bundesweit mobilisiert. Während der Demonstration kam es zu erheblichen Ausschreitungen und Angriffen auf die Polizei. Neben dem Bewurf mit Flaschen und Steinen wurden die Polizeikräfte hier auch mit Eisenstangen angegriffen. Zudem begingen die Demonstrierenden während des Aufzugs eine Vielzahl von Sachbeschädigungen und Brandstiftungen. In einem am 16. Oktober auf „de.indymedia“ veröffentlichten Beitrag wurden die Proteste und Ausschreitungen als Erfolg beschrieben:

„Die zumeist auswärtigen Einheiten werden mit Entschlossenheit und Härte angegangen. Trupps, die als Seitenspalier vorgesehen waren, werden vom Platz der Auftaktkundgebung bis zum Kotti eigentlich nur gejagt. Es regnet Steine, Flaschen, Straßenmobiliar, Geschirr aus den Bars und mächtiges Feuerwerk. Die vor der Demo fahrenden Wannen kommen aus den Hinterhöfen des Kottbusser Damm ins Kreuzfeuer von Raketenbatterien (...). Nebenbei gehen einige hochpreisige Autos kaputt und auch die als Hauptgentrifizierer ausgemachten Läden und Co-Working-Spaces werden allesamt nicht verschont.“

Ausblick

Auch künftig werden Entscheidungen und Entwicklungen im Zusammenhang mit linksextremistischen „Freiräumen“ von Protesten, militanten Aktionen und Straftaten begleitet werden – nicht zuletzt wegen der hohen symbolischen und strategischen Bedeutung, die diese Objekte für Linksextremisten haben. Durch die zahlreichen Räumungen und staatlichen Maßnahmen der vergangenen beiden Jahre in Berlin fühlt sich die Szene zunehmend unter Druck gesetzt. Dies kann dazu führen, dass die wenigen verbliebenen „Freiräume“ künftig noch stärker verteidigt und damit der Widerstand der Szene und die von ihr verübten Straftaten quantitativ und qualitativ ansteigen werden. Dabei verteidigen Linksextremisten ihre Rückzugsräume regelmäßig derart gewalttätig, dass auch tödliche Verletzungen der Einsatzkräfte nicht auszuschließen sind.