Palästinasolidarität im dogmatischen Linksextremismus.
(April 2024)
Für dogmatische Linksextremisten ist die Palästinasolidarität ein wesentliches und einander verbindendes Betätigungsfeld. Sie beinhaltet verschiedene Facetten bis hin zu Israelfeindschaft und Antizionismus. Zielgerichtet versuchen dogmatische Linksextremisten, Debatten und Demonstrationen mit Bezug zur Situation im Nahen Osten ideologisch und personell zu durchdringen.
Dahinter steht die Absicht, eine Definitionshoheit zu erlangen, die nicht extremistischen Teilnehmenden von Veranstaltungen zu radikalisieren und in einer Frontstellung gegenüber dem demokratischen Verfassungsstaat hierzulande zu vereinen sowie neue Mitglieder zu rekrutieren. Dabei werden immer wieder an sich demokratische und humanitäre Anliegen missbraucht, Kundgebungen diskreditiert, Meinungspluralität ignoriert und gewalttätige Auseinandersetzungen und gesellschaftliche Spaltung provoziert, nur um das Dogma der eigenen Ideologie durchzusetzen.
Proteste nach dem 7. Oktober 2023
Die bundesweiten Proteste nach den Terrorangriffen der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 und der militärischen Reaktion Israels im Gazastreifen wirkten für die Instrumentalisierungs- und Vernetzungsbestrebungen dogmatischer Linksextremisten als Katalysator. Vor allem an propalästinensischen Protesten und Versammlungen beteiligten sich auch diverse extremistische Akteure, darunter Islamisten, palästinensische Extremisten, deutsche und türkische Linksextremisten sowie türkische Rechtsextremisten. Sie alle nahmen die Terroranschläge der HAMAS zum Anlass, um zu Hass und Gewalt gegen Jüdinnen und Juden oder den Staat Israel aufzurufen und sein Existenzrecht zu verneinen. Deutsche Rechtsextremisten nutzten das Thema zur Agitation gegen Muslime und Migranten.
Pressemitteilung des BfV „Auswirkungen des Terrorangriffs der HAMAS gegen Israel auf die Sicherheitslage in Deutschland“ vom 29.11.2023
Während autonome Linksextremisten sich überwiegend auf die Seite Israels stellten, vertrat mit den Angehörigen des antiimperialistischen und dogmatischen Spektrums ein Großteil der linksextremistischen Szene propalästinensische Ansichten. Hier taten sich insbesondere dogmatische Linksextremisten dadurch hervor, eine Vielzahl an Veranstaltungen angemeldet und als ideologische Mobilisierungstreiber gewirkt zu haben.
Dogmatische Linksextremisten
Als „dogmatisch“ werden Linksextremisten bezeichnet, die sich vor allem mit der Theoriebildung und Weiterverbreitung linksextremistischer Ideologie befassen. Sie streben danach, über den Einfluss auf den öffentlichen politischen Diskurs die personelle und politische Basis für eine revolutionäre Situation zu schaffen. In dieser soll die als „kapitalistisch“ bezeichnete Staats- und Gesellschaftsform überwunden und in der Folge eine sozialistische/kommunistische Ordnung etabliert werden. Zu den „Dogmaten“ zählen traditionskommunistische, maoistische, trotzkistische und anarchistische Bestrebungen.
Bereits am 7. Oktober 2023, dem Tag des Terrorangriffs der HAMAS auf Israel, beteiligten sich dogmatische Linksextremisten an einer propalästinensischen Veranstaltung in Berlin, bei der Angehörige des am 2. November 2023 verbotenen Netzwerks „Samidoun“ den Angriff der HAMAS feierten und Süßgebäck an Passanten verteilten. So nahmen Mitglieder der „Kommunistischen Organisation“ (KO) nicht nur an der Versammlung teil, sondern hatten diese im Voraus sogar angemeldet. In den folgenden Tagen zeigte sich, dass sich nahezu alle Organisationen aus dem Bereich des dogmatischen Linksextremismus mit den Palästinensern solidarisch erklärten und in unterschiedlicher Intensität aktiv wurden.
Für die sonst eher zu Streit und Spaltung neigende dogmatische linksextremistische Szene wirken der Nahost-Konflikt und die Palästinasolidarität als verbindendes Element. So betrachten dogmatische Linksextremisten das palästinensische Volk als unterdrückt und solidarisieren sich mit ihm. Daraus resultiert eine Ablehnung und Feindschaft gegenüber dem Staat Israel, der von ihnen mehrheitlich als „kapitalistisch“ und „imperialistisch“ wahrgenommen wird und der die palästinensischen Autonomiegebiete „kolonialisieren“ würde.
Antiimperialismus im dogmatischen Linksextremismus
Antiimperialistisch eingestellte Linksextremisten unterstellen dem Staat Israel, dass er die palästinensischen Autonomiegebiete „kolonialisieren“ und die palästinensische Bevölkerung unterdrücken würde. In diesem Zusammenhang werden immer wieder auch Begriffe wie „Apartheidsregime“, „Holocaust“ oder „Vernichtungskrieg“ für die israelische Politik verwendet, um diese mit den Massenverbrechen des Nationalsozialismus gegen die Menschlichkeit gleichzusetzen. Vor diesem Hintergrund negieren Antiimperialisten teilweise auch das Existenzrecht Israels. Dennoch basiert die Agitation von Linksextremisten gegen den Staat Israel nicht auf antisemitischen Beweggründen und richtet sich nicht gegen Jüdinnen und Juden als solche. Sie ist vielmehr im antiimperialistischen Weltbild der meisten dogmatischen Linksextremisten begründet, wonach Israel „Kapitalismus“ und „Imperialismus“ zugeschrieben wird.
Obwohl sich nahezu jede dogmatische linksextremistische Organisation auf die Seite der Palästinenser stellte, unterschieden sie sich unter anderem hinsichtlich der Beurteilung der HAMAS und der propagierten Lösung des Konflikts. Beispielsweise verurteilte die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD) die HAMAS als „faschistisch“, „antisemitisch“ und „antikommunistisch“, während die KO „allen Fraktionen des Widerstands“ ihre „volle Solidarität“ erklärte.
„Für mich ist dieses Ausbrechen aus dem Freiluftgefängnis eine gelungene Widerstandsaktion. Es gibt keinen Terror der Hamas, es gibt keinen Terror der PFLP.“
(Aussage eines Mitglieds der KO am 13.10.2023 gegenüber Medienvertretern)
In Bezug auf die Lösung des Konflikts sprach sich die „Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ), die Jugendorganisation der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP), für die „Zweistaatenlösung“ und die „Achtung der Beschlüsse der UN aus“, während die „Gruppe ArbeiterInnenmacht“ (GAM) einen „gemeinsamen, binationalen, sozialistischen Staat in Palästina“ forderte und die KO das Existenzrecht Israels negierte.
„Das zionistische Kolonial- und Apartheid-Regime namens ,Israel‘ hat kein Existenzrecht. Seine Abschaffung ist die Voraussetzung für die Befreiung Palästinas.“(Beitrag auf der Homepage der KO vom 10.10.2023)
Zusammenarbeit mit anderen extremistischen Gruppierungen
Eine relevante Rolle im propalästinensischen Veranstaltungsgeschehen seit dem 7. Oktober 2023 übernahmen vorrangig säkulare extremistische Palästinenserorganisationen und Organisationen aus dem Bereich des türkischen Linksextremismus. Diese organisierten und mobilisierten zur Teilnahme an Veranstaltungen und nahmen am Demonstrationsgeschehen teil. Inhaltlich sprachen sie sich für eine „Ein-Staat-Lösung“ aus, begrüßten das Vorgehen der HAMAS oder verurteilten es zumindest nicht und äußerten sich am 2. November 2023 solidarisch mit dem verbotenen Netzwerk „Samidoun“.
Zwischen diesen Forderungen und Anliegen und denen dogmatischer Linksextremisten bestehen mehrere Schnittmengen. Sie bilden die Basis für diverse Vernetzungen zwischen dogmatischen Linksextremisten, säkularen extremistischen Palästinenserorganisationen und türkischen Linksextremisten. In den Wochen des verstärkten Protestgeschehens vertieften sich diese Vernetzungen, es entstanden aber auch neue Verbindungen.
Die Vernetzungen äußerten sich in der gemeinsamen Organisation und Mobilisierung zur Teilnahme an Veranstaltungen sowie der Beteiligung an Protesten und Kundgebungen der jeweils anderen Gruppierungen. Zudem versicherten sich die Akteure untereinander regelmäßig der gegenseitigen Solidarität.
Dogmatische Linksextremisten übten darüber hinaus einen großen Einfluss auf zahlreiche propalästinensische Gruppen und Demonstrationen aus. Insbesondere die KO, aber auch DKP und SDAJ, die „Revolutionäre Linke“ (RL) oder die GAM und ihre Jugendorganisation „REVOLUTION“ (REVO) fanden sich in aufkommenden Bündnissen ein oder mobilisierten gemeinsam zu Veranstaltungen.
Im Verlauf des Demonstrationsgeschehens wurde deutlich, dass dogmatische Linksextremisten in propalästinensischen Gruppierungen zum Teil die Rolle von Gründungsmitgliedern und ideologischen Vordenkern ausübten. Vor allem Angehörige der KO, aber auch andere dogmatische Linksextremisten meldeten Proteste und Demonstrationen für propalästinensische Gruppierungen an und traten zum Teil in der Öffentlichkeit als deren Sprecherinnen und Sprecher in Erscheinung.
Ein Beispiel für das gemeinsame Engagement dogmatischer Linksextremisten mit propalästinensischen Strukturen ist die „Palästina Solidarität Duisburg“, die von Anfang an ein wesentlicher Mobilisierungstreiber war und den Terror der HAMAS auf ihrer Instagram-Seite mit Beiträgen wie diesem relativierte:
„Gaza hat sich erhoben & seine Gefängnismauern gesprengt. Der Widerstand hat eine nie dagewesene Offensive gestartet & versetzt dem zionistischen Kolonialregime heftige Schläge. Überall auf der Welt feiern & unterstützen die Menschen diesen Aufstand. (…) Von Duisburg bis Gaza: Sieg der Intifada! Palästina wird sich befreien: vom Meer bis zum Fluss.“(Beitrag auf der Instagram-Seite von „palaestinasolidaritaetduisburg“ vom 09.10.2023)
Des Weiteren brachten sich Akteure der dogmatischen linksextremistischen Szene durch die Veröffentlichung von Texten und Beiträgen in die propalästinensische Agitation ein und arbeiteten auf eine Verschiebung des Diskurses im Sinne ihrer Interpretation des Konfliktes hin. Auch bei Protesten und Hörsaalbesetzungen an Berliner Hochschulen, in deren Verlauf es auch zu Auseinandersetzungen und Rangeleien mit als „Zionisten“ diffamierten Studierenden kam, beteiligten sich dogmatische Linksextremisten und mit ihnen vernetzte Gruppierungen aus dem türkischen Linksextremismus.
Entstehen neuer Bündnisse
Dogmatische Linksextremisten vernetzten sich im Rahmen ihrer propalästinensischen und israelfeindlichen Aktionen nicht nur mit anderen extremistischen Gruppierungen, sondern stellten die im spalterischen Dogmatismus üblichen Grabenkämpfe zurück, um gemeinsame Bündnisse mit Bezug zum Nahost-Konflikt zu schmieden. Die an solchen Bündnissen beteiligten dogmatischen linksextremistischen Organisationen einigten sich darauf, ihre ideologischen Differenzen für gemeinsame Statements und Aktionen hinter sich zu lassen.
So organisieren sich beispielsweise im sogenannten Kufiya-Netzwerk verschiedene linksextremistische Organisationen mit Gruppen aus dem Bereich des auslandsbezogenen Extremismus und des nicht extremistischen Spektrums. In einem Statement des Netzwerks wird der Krieg im Nahen Osten unter anderem als Krieg zwischen „Besatzern und Besetzten“ beschrieben und ausgeführt, dass der gewaltsame Widerstand der Besetzten nicht mit der Gewalt der Besatzer gleichgesetzt werden könne. Des Weiteren wird ein sofortiger Stopp deutscher Unterstützungsleistungen an Israel sowie eine Beendigung der „Repression gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung durch den deutschen Staat“ gefordert.
Ziel der Palästinasolidarität dogmatischer Linksextremisten
Dogmatische Linksextremisten wollen eine sozialistische/kommunistische Gesellschaftsordnung in Deutschland revolutionär durchsetzen. Um diese errichten zu können, benötigen sie eine ausreichend große gesellschaftliche „Massenbasis“, die den angestrebten Umbau der Gesellschaft inhaltlich und personell durchführen kann. Für den Aufbau dieser „Massenbasis“ versuchen dogmatische Linksextremisten andere Organisationen, Bündnisse und Kampagnen zu infiltrieren und einen steuernden Einfluss auf diese auszuüben. Zudem greifen sie aktuelle und in der Öffentlichkeit breit diskutierte Themen auf und versuchen, die eigene Ideologie in den öffentlichen Diskurs und das Versammlungsgeschehen einfließen zu lassen.
Sie bringen sich in Demonstrationen und Kundgebungen ein, um den Staat und die derzeitige Gesellschaftsordnung als - angeblich - kapitalistisch-faschistisches Unrechtsregime zu delegitimieren und den Teilnehmenden die eigene Interpretation der jeweiligen Thematik aufzudrängen. Gleichzeitig bemühen sie sich, Führungspositionen zu erlangen, um steuernden Einfluss auf das Mobilisierungspotenzial zu gewinnen. Ihr Ziel ist es, die eigene Bewegung so stark zu machen, dass ein ernst zu nehmender revolutionärer Umsturz des derzeitigen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems möglich wird.
Auch in Bezug auf die Lage in Nahost versuchen Akteure des dogmatischen Linksextremismus seit jeher, propalästinensische Positionen und Proteste ideologisch und personell zu durchdringen. Sie versprechen sich davon, die Deutungshoheit über die Interpretation des Nahost-Konfliktes zu erlangen und ihre antikapitalistische und antiimperialistische Weltanschauung bei den Teilnehmenden von Demonstrationen zu verankern, um diese zu radikalisieren und neue Mitglieder für die eigenen Organisationen zu rekrutieren.
Die nicht extremistischen Teilnehmenden von Protesten und Kundgebungen und ihre Anliegen werden dabei für die Erreichung der eigenen extremistischen Ziele missbraucht. Durch extremistische Parolen und provozierte Auseinandersetzungen mit der Polizei drängen auch dogmatische Linksextremisten die berechtigten Forderungen anderer Demonstrationsteilnehmender in den Hintergrund. Dabei ignorieren sie die grundlegende Meinungsvielfalt und -freiheit und versuchen, andere Meinungen durch das eigene extremistische Dogma zu ersetzen. Dieses Ziel formuliert deutlich ein Beitrag im DKP-Parteiorgan „unsere zeit“, der stellvertretend für die im dogmatischen Linksextremismus vorherrschende Haltung und Motivation gelesen werden kann.
„,Free Palestine‘ kann zur größten internationalen antiimperialistischen Massenbewegung seit der Zeit der Vietnam-Solidarität werden. (…) Die Protestbewegung reißt die Fassade der angeblichen ,Wertegemeinschaft‘ aus USA, EU und NATO ein. Ihr imperialistischer Charakter wird großen Massen vor Augen geführt.“(Beitrag auf der Website „unsere-zeit.de“ vom 10.11.2023)