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Queerfeindlichkeit im Rechtsextremismus.

Die Aufnahme zeigt eine Wand in beschädigten Regenbogenfarben

(Dezember 2024)

Einleitung

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bildet einen grundlegenden Bestandteil rechtsextremistischer Ideologie und Agitation.

Im Rahmen des Pride Month und öffentlicher Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD) beobachtet das BfV eine spezifisch queerfeindliche Agitation – teilweise mit extrem abwertenden und menschenfeindlichen Positionen und Äußerungen – im Internet sowie dieses Jahr auch vermehrt realweltliche Protestaktionen von Rechtsextremisten.

Auf Basis ihrer Weltanschauung lehnen Rechtsextremisten Diversität im Hinblick auf sexuelle Orientierung sowie Partnerschafts- und Familienmodelle größtenteils ab. Sie sehen Heterosexualität und die damit verbundene traditionelle Kernfamilie als alternativlos und biologisch „natürlich“ an.

Für sich genommen ist dies zunächst keine genuin rechtsextremistische Position, jedoch versuchen Rechtsextremisten das Thema ideologisch zu besetzen. Die LGBTQ+-Bewegung und die durch diese symbolisierten Werte werden daher unter anderem von rechtsextremistischen Parteien als Feindbild genutzt, um ihr eigenes rassistisches und nationalistisches Weltbild propagieren zu können.

Dies äußert sich zum Beispiel in der Familienpolitik rechtsextremistischer Parteien, wonach sich ein drohender „Volkstod“ nur durch eine ausschließlich auf ethnisch deutsche Familien und die Ehe zwischen Mann und Frau ausgerichtete Familienpolitik aufhalten ließe.

Insbesondere im digitalen Raum sind LGBTQ+-feindliche Inhalte rechtsextremistischer Akteure weit verbreitet. LGBTQ+-Feindlichkeit ist dort zunehmend eines der bedeutendsten Agitationsfelder der rechtsextremistischen Szene. Dabei werden diverse Online-Strategien zur Agitation gegen die LGBTQ+- Bewegung eingesetzt oder auch ganz offen Hass- und Gewaltbotschaften verbreitet.

Störaktionen gegen öffentliche Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD)

Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass LGBTQ+-Veranstaltungen auch nach dem Ende des diesjährigen Pride Month im Juni verstärkt in den Fokus insbesondere gewaltorientierter rechtsextremistischer Akteure rücken. So kam es im Jahr 2024 bundesweit wiederholt zu (versuchten) rechtsextremistischen Störaktionen von öffentlichen Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD).

Besonders hervorzuheben sind hierbei rechtsextremistische Störaktionen gegen die CSD-Veranstaltungen in Bautzen (Sachsen) am 11. August, in Leipzig (Sachsen) am 17. August, in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) am 24. August sowie in Zwickau (Sachsen) am 31. August.

Die Teilnehmerzahlen bei den Protesten gegen die öffentlichen CSD-Umzüge lagen bei diesen Versammlungen jeweils im dreistelligen Bereich (beispielsweise Bautzen: circa 700, Zwickau: circa 480).

Es handelte sich dabei überwiegend um Personen der gewaltorientierten rechtsextremistischen Szene.

Diese CSD-Störaktionen wurden beziehungsweise werden zwar auch von klassischen rechtsextremistischen Organisationen wie etwa der Partei „Der III. Weg“ sowie deren Jugendorganisation „Nationalrevolutionäre Jugend“, der Partei „Die Heimat“ (vormals NPD) und durch die „Freien Sachsen“ beworben, organisiert und durchgeführt. Es treten jedoch vermehrt gewaltorientierte rechtsextremistische Online-Gruppierungen als Organisatoren und Veranstalter in Erscheinung, die alle eine ausgeprägte Bereitschaft, ihre queerfeindliche Einstellung mit öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen Ausdruck zu verleihen, erkennen lassen.

Queerfeindliche Agitation anlässlich des Pride Month

Rechtsextremisten nehmen den Pride Month zum Anlass, ihre queerfeindlichen Einstellungen zum Ausdruck zu bringen. Zahlreiche Einzelpersonen und Gruppierungen äußerten sich in den letzten Jahren in einer abfälligen und diffamierenden Art und Weise zu der Veranstaltung und stellten das legitime Anliegen der LGBTQ+-Community, den Kampf gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, in Frage.

Die Agitation der rechtsextremistischen Szene gegen den im Juni 2024 stattfindenden Pride Month überschnitt sich zeitlich mit der in Deutschland ausgetragenen Fußballeuropameisterschaft. Ausschließlich auf den Pride Month bezogene Aktionen und Reaktionen von Rechtsextremisten ähnelten denjenigen der beiden Vorjahre.

„Stolzmonat“-Aktion vor dem Karlsruher Schloss
Telegram „Stolzmonat“-Aktion vor dem Karlsruher Schloss

Wie auch schon 2023 wurden sie größtenteils in der „patriotischen“ Gegenbewegung „Stolzmonat“ zusammengefasst. Dabei handelt es sich um eine durch verschiedene Akteure aufgegriffene und sich verselbstständigende „patriotische“ Gegenbewegung zum Pride Month. Unter dem Deckmantel des „Stolzmonats“ wurde in der Folge von der rechtsextremistischen Szene mit Aktionen sowohl im digitalen als auch realweltlichen Raum gegen die LGBTQ+- Community gehetzt. Der „Stolzmonat“ fungierte darüber hinaus als themenbezogen verbindendes Element der rechtsextremistischen Szene.

Insbesondere Gruppierungen, die der rechtsextremistischen „Identitären Bewegung Deutschland“ (IBD) zuzurechnen sind, waren an mehreren – auch öffentlichkeitswirksamen – Aktionen beteiligt.

Am 27. Juni fand beispielsweise vor dem Karlsruher Schloss eine Transparent- und Pyrotechnikaktion einer schwäbischen Gruppierung der IBD statt. In einem Statement äußerte sich die Gruppe zu der Motivation dahinter wie folgt:

„Offen gelebter Patriotismus wird in Deutschland verteufelt und kriminalisiert. Während sexuelle Fetische immer aggressiver in die Öffentlichkeit drängen, bleibt die Liebe zur Heimat tabuisiert.“

Eine weitere öffentlichkeitswirksame Aktion von Akteuren der IBD erfolgte auf der Basteibrücke in der Sächsischen Schweiz am 30. Juni 2024. Diesbezüglich heißt es in einem Statement, dass der „staatlich verordnete Pride Month“ auch dieses Jahr „das Dasein im Schatten der strahlenden Deutschlandflaggen des patriotischen Stolzmonats“ habe fristen müssen.

Auch abseits von IBD und IBD-nahen Gruppierungen führten einzelne rechtsextremistische Akteure Aktionen anlässlich des „Stolzmonats“ durch.


Die Aufnahme zeigt drei vermummte Personen vor dem Schriftzug „#nopridemonth“
Telegram

Abgesehen von queerfeindlichen Äußerungen im Internet und realweltlichen Protestaktionen deutscher Rechtsextremisten gegen den diesjährigen Pride Month werden mitunter auch Aktionen im europäischen Ausland von der Szene in Deutschland geteilt und kommentiert. Eine besondere Resonanz erhalten dabei immer wieder Protestaktionen von Aktivisten der „Identitären Bewegung“ in Wien (Österreich). 2022 blockierten sie eine städtische Bücherei, in welcher eine „Drag Queen Story Hour“ stattfinden sollte. Das rot-weiß gestreifte, mauerähnliche Konstrukt trug die Aufschrift „NOPRIDE-MONTH“.

In einem Schreiben zur Aktion hieß es:

„NIEMALS werden wir akzeptieren, dass in diesem Land Kinder mit sexueller Propaganda indoktriniert werden. Wir wehren uns gegen die staatsfinanzierte Globohomo-Ideologie und bekämpfen sie, überall wo sie sich zeigt. Die Mehrheit des Volks ist dagegen. Sie will keine Frühsexualisierung ihrer Kinder & lehnt diese Propaganda ab. (…) KEIN METER FÜR GLOBOHOMO“

Auch 2024 kam es durch IB-Aktivisten in Österreich zu queerfeindlichen Aktionen, die Akteure der rechtsextremistischen Szene in Deutschland in Sozialen Medien teilten. So verhüllten Aktivisten in Kärnten (Österreich) einen regenbogenfarbenen Zebrastreifen mit der gelb-rot-weißen Flagge Kärntens.

Das Narrativ der „Gender-Propaganda“

Dass die Bevölkerung durch eine gezielte „Gender-Propaganda“ manipuliert oder gar sexuell umerzogen werden solle, ist ein gängiges Narrativ in der rechtsextremistischen Szene. Diese „Gender-Propaganda“ werde durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ebenso wie durch Konzerne, Politiker sowie an Schulen betrieben.

Ein Flyer der neonazistischen Kleinpartei „Der III. Weg“ titelt ganz in diesem Sinne: „FAMILIEN SCHÜTZEN! HOMO-PROPAGANDA STOPPEN!“.

Auch und insbesondere Teile der „Neuen Rechten“ äußern sich in ähnlichem Passus. Die rechtsextremistische „COMPACT-Magazin GmbH“ beispielsweise äußert sich über ihre verschiedenen Formate oftmals anlassbezogen über Themen und Sachverhalte, die im Zusammenhang mit der LGBTQ+-Community stehen. Dabei fallen nicht selten abwertende und menschenwürdeverachtende Äußerungen wie etwa auf „COMPACT-TV“ in der Sendung „Ab morgen droht der Transen-Horror“ vom 11. April 2024.

Rechtsextremistische Parteien: Völkische Familienpolitik

Aufkleber der Partei „Der III. Weg“ mit der Aufschrift „LGBTQ brechen! Natürliche Familien schützen“

In ihren Parteiprogrammen und Satzungen fordern rechtsextremistische Parteien wie „Die Heimat“ (vormals NPD) und „Der III. Weg“ eine Familienpolitik, in der nur das „traditionelle Familienbild aus Vater, Mutter und Kindern“ förderungswürdig ist. In der Satzung der Partei „Die Heimat“ heißt es: „Homosexuelle Lebenspartnerschaften bilden keine Familie und dürfen nicht gefördert werden“. Die Partei lehnt die „naturwidrige Gender-Mainstreaming-Ideologie“ ab:

„Traditionelles Familienbild statt Genderwahn! Allein das traditionelle Familienbild aus Vater, Mutter und Kindern sichert unserem Volk das Überleben und sorgt für seine Zukunft. Die Ehe zwischen Mann und Frau ist somit die einzig natürliche und lebensbejahende Bindung zweier Menschen und muss deshalb als Leitbild ideell vertreten werden. Die Aufwertung sexueller Randgruppen wie Homosexuellen darf somit nicht weiter mit Steuergeldern und medialer Aufmerksamkeit gefördert werden. Die so genannte „Ehe für alle“ ist rückgängig zu machen und die Genderlehre – die besagt, dass es keine natürlichen Geschlechter gibt – ist aus allen Bildungsplänen und Lehrstühlen zu streichen.“

10-Punkte-Programm der Partei „Der III. Weg“ – Ausführungen zum Punkt 3 „Deutsche Kinder braucht das Land“

Ihre Queerfeindlichkeit stellen die Parteien auch unverhohlen zur Schau. Die NPD-Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ (JN) der Partei „Die Heimat“ (vormals NPD) vertreibt beispielsweise Aufkleber mit der Aufschrift: „NORMAL STATT DIVERS“ und „AUS ANNE WIRD FRANK, DAS IST DOCH KRANK!“.

Neben der hier zum Ausdruck kommenden Queerfeindlichkeit ergibt sich durch die Anspielung auf Anne Frank, die als junges Mädchen jüdischer Abstammung vom Naziregime verfolgt wurde und im Jahr 1945 im Konzentrationslager (KZ) Bergen-Belsen verstarb, auch eine antisemitische Konnotation.

Bewertung

Im Kontext des diesjährigen Pride Month stellte das BfV regelmäßig eine Vielzahl queerfeindlicher Äußerungen und Anfeindungen von Rechtsextremisten im Internet fest. Die Feindseligkeit gegenüber der queeren Community zeigte sich insbesondere in der Darstellung sexueller Minderheiten als vermeintlich negative Abweichung von der Norm sowie in vulgären verbalen Angriffen vor allem in den Kommentarbereichen.

Insbesondere das im Vergleich zu früheren Ereignissen teilweise hohe Mobilisierungspotenzial, das bei den Störaktionen gegen CSD im August beobachtet werden konnte, ist dabei eine neue Entwicklung und wird vom BfV aufmerksam beobachtet.

Da die Themen Diversität und Gleichberechtigung zunehmend in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Wahrnehmung rücken, ist damit zu rechnen, dass Rechtsextremisten zukünftig noch stärker versuchen werden, diese Themen ideologisch zu besetzen.