Navigation und Service

Exekutivmaßnahmen gegen Vereinigung aus „Reichsbürger“-Spektrum

Die Abbildung zeigt symbolhaft Reichsbuerger-Paesse, Reichsadler und Reichsbuerger-Nummernschild.

(Dezember 2022)

Anfang Dezember gingen die deutschen Sicherheitsbehörden in einer groß angelegten Aktion gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer einer Gruppierung vor, die sich die gewaltsame Beseitigung der staatlichen Ordnung in Deutschland sowie eine anschließende Machtübernahme zum Ziel gesetzt hatte.

Die Gruppierung hatte sich mindestens seit November 2021 um den mutmaßlichen Rädelsführer aus dem Spektrum der „Reichsbürger“ gebildet. Ihre Mitglieder hatten sich im Zeitverlauf zunehmend radikalisiert und ihre Vorbereitungen für den geplanten Umsturz immer weiter intensiviert.

Groß angelegter Polizeieinsatz

Am 7. Dezember waren über 3.000 Polizistinnen und Polizisten gegen die mutmaßliche terroristische Vereinigung im Einsatz. Damit dürfte es sich um eine der größten Aktionen im Bereich der politisch motivierten Kriminalität in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland handeln.

Am Einsatztag wurden mehr als 160 Objekte durchsucht und 25 Personen festgenommen; davon eine in Österreich und eine in Italien. Bei den Durchsuchungen wurden zahlreiche legale und illegale Waffen gefunden, darunter Langwaffen, Faustfeuerwaffen, Schreckschusswaffen und Gasdruckwaffen sowie eine Dienstwaffe der Polizei.

Der GBA wirft den Beschuldigten vor, Mitglieder oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung (§§ 129, 129a Strafgesetzbuch) zu sein.

picture alliance/dpa | Bodo Schackow Einsatzkräfte der Polizei in Thüringen


Mehr zum Thema: Pressemitteilung des GBA vom 7. Dezember 2022

Mehrere Landesbehörden für Verfassungsschutz (LfV) waren an der operativen Aufklärung des Sachverhalts beteiligt. Das BfV wiederum hat in seiner Zentralstellenfunktion Informationsstränge gebündelt, durch eigene operative Maßnahmen ergänzt und so aufbereitet, dass sie als Grundlage für die umfänglichen und ressourcenintensiven Ermittlungen von GBA und Bundeskriminalamt (BKA) herangezogen werden konnten.

Gruppierung plante Umsturz und anschließende Machtübernahme

Die Vereinigung plante, an einem durch ein nicht genau definiertes Ereignis ausgelösten „Tag X“ mit einem eigens dafür gebildeten „militärischen Arm“ die staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen. Anschließend sollte ein „Rat“ die politische Kontrolle übernehmen. Daneben sollten eigene administrative und militärische Strukturen etabliert werden.

Die Gruppierung: Eine gewaltbereite Mischszene

Wenngleich die Gruppierung primär dem „Reichsbürger“-Spektrum zuzurechnen ist, bestehen auch ideologische und personelle Bezüge zu den Phänomenbereichen „Rechtsextremismus“ und „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Der Sachverhalt zeigt insofern exemplarisch einen Entgrenzungsprozess zwischen den verschiedenen Szenen und Milieus.

So kommen in dem Sachverhalt in ideologischer Hinsicht neben „Reichsbürger“-typischen Narrativen verschiedene Verschwörungstheorien und auch rechtsextremistische Ideologiefragmente zusammen. Insbesondere Verschwörungstheorien bildeten einen ideologischen Ankerpunkt innerhalb der Gruppierung und begünstigten die Vernetzung und Kooperation über Szene- und Milieugrenzen hinweg.

Die Mitglieder der Gruppierung waren der festen Überzeugung, es existiere ein „Deep State“, welcher Deutschland im Geheimen und zum Nachteil der Bevölkerung regiere. Dagegen habe sich als Gegenspieler eine „Allianz“ gebildet, welche Deutschland an einem „Tag X“ befreien werde. Sich selbst sah die Gruppierung an der Seite dieser „Allianz“. In der Vorstellungswelt der Vereinigung stand ein Eingreifen der „Allianz“ unmittelbar bevor.

Bundesamt für Verfassungsschutz

Personell ist die Gruppierung äußerst heterogen. Neben dem Rädelsführer aus dem „Reichsbürger“-Spektrum gehörten zu der Gruppe eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der „Alternative für Deutschland“ (AfD) (Verdachtsfall) sowie aktive und ehemalige Bundeswehrangehörige und Polizeibedienstete. Weitere Gruppenmitglieder üben bürgerliche Berufe aus: Es handelt sich beispielsweise um Juristen, eine Ärztin oder einen Angehörigen der Feuerwehr.

Der Personenkreis erweiterte sich während der sicherheitsbehördlichen Beobachtung kontinuierlich. Die tatsächliche Größe der Vereinigung kann noch nicht abschließend beziffert werden.

Mehr zum Thema: Lagebericht Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ in Sicherheitsbehörden

Reaktionen von Extremisten auf den Polizeieinsatz

Extremisten sahen in den Exekutivmaßnahmen vom 7. Dezember überwiegend eine Inszenierung, mit der die rechtsextremistische Szene sowie „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ diskreditiert und von anderen Themen abgelenkt werden sollte. Oftmals wurde verbreitet, es solle gezielt von einer Gewalttat in Illerkirchberg (Baden-Württemberg) vom 5. Dezember abgelenkt werden, bei der zwei Mädchen mutmaßlich von einem Asylbewerber aus Eritrea mit einem Messer angegriffen wurden und in deren Folge eines der beiden Mädchen verstarb. Andere mutmaßten, die Aktion habe als Vorwand gedient, um künftig noch schärfer gegen Szeneangehörige vorzugehen. Des Weiteren wurde die Gefahr, die von der Gruppierung ausging, verharmlost und versucht, die Polizeiaktion ins Lächerliche zu ziehen.

Hohe Gewaltbereitschaft in der „Reichsbürger“-Szene

0 :Personen umfasst das Mitgliederpotenzial von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“.

Der Sachverhalt verdeutlicht einmal mehr die hohe Gewaltbereitschaft, die in Teilen der „Reichsbürger“-Szene besteht, und zeigt deren Attraktivität auch für Anhänger anderer extremistischer Phänomenbereiche. Dabei besteht die zunehmende Gefahr, dass sich radikalisierte Einzelpersonen aus dem Milieu der Verschwörungsgläubigen oder der Protestszene um die Corona-Schutzmaßnahmen an der zum Teil ausgeprägten Gewaltbereitschaft von „Reichsbürgern“ und Rechtsextremisten orientieren.

Von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ geht eine anhaltend hohe Gefahr aus. Das belegt ebenfalls der erneute, erhebliche Anstieg des Personenpotenzials der Szene im Jahr 2022 von 21.000 auf 23.000 (2020: 20.000).

Mehr zum Thema: „Zahlen und Fakten zu „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“