Das „Königreich Deutschland“ – Staatssimulation von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“
(November 2020)
„Königreich Deutschland“ - Ein Fantasiestaat
Die Szenen muten surreal an – oder lächerlich, je nach Sichtweise. Ein Mann auf einer Bühne vor einem Flügel und schweren Kerzenleuchtern bekommt einen Hermelinmantel umgelegt. Mit weihevollen Mienen schreiten junge, mehr oder weniger festlich gekleidete Menschen mit „Reichsinsignien“ in den Händen auf die Bühne und überreichen sie.
Der Mann im Krönungsornat liest dann, auf ein Schwert gestützt, eine „Gründungsurkunde“ vor und gibt sich dabei größte Mühe, würdevoll zu klingen. Zum Klang von Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“, bekannt aus dem Filmklassiker „2001 – Odyssee im Weltraum“, kniet er vor einer Krone und legt das Schwert davor ab. Später nimmt er auf einer Art Thron sitzend die Huldigungen seiner „Untertanen“ entgegen.
Diese Szenen aus einem Video der Gruppierung sollen den Gründungsakt eines neuen Staates zeigen. Schon an den Gesichtern der Anwesenden ist zu erkennen: Das ist keine Satire und will erst recht nicht als Scherz verstanden werden, es ist ihnen ernst.
Der Fantasiestaat „Königreich Deutschland“ (KRD) wurde im September 2012 in der Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt) „ausgerufen“. Der Gründer des KRD hatte sich in einem „Staatsgründungsakt“ zum „Obersten Souverän“ ernennen lassen. Das KRD hat sich – der Überzeugung folgend, einen „völkerrechtskonformen neuen Staat“ gegründet zu haben – auch eine eigene „Verfassung“ gegeben. In dieser heißt es, das KRD vereine „die Formen einer direkten aufsteigenden Demokratie in der Organisationsform einer Räterepublik mit einer konstitutionellen Wahlmonarchie“.
Auf über 70 Seiten wird in der „Verfassung“ die Ausgestaltung des Fantasiestaats KRD beschrieben. So finden sich darin unter anderem Ausführungen zu „Grundrechten“, „staatsbürgerlichen Rechten“, zur „Ausgestaltung der staatlichen Organe und Einrichtungen des öffentlichen Lebens, Rechte der Staatsangehörigen“ und zur „Geld-, Währungs- und Finanzverfassung“. Staatsoberhaupt der „konstitutionelle(n) Wahlmonarchie“ des KRD ist der „König von Deutschland“; er wird auf Lebenszeit gewählt. Bis zur Bildung eines von der KRD-Verfassung vorgesehenen „Staatsrates“ und zur Wahl des ersten Königs fungiert der Gründer nach eigener Aussage als „Oberster Souverän“ und übernimmt treuhänderisch alle Aufgaben.
Mit diesem staatsähnlichen Konstrukt versucht das KRD, sich als Gegenentwurf zum System der Bundesrepublik Deutschland darzustellen.
Dabei spielen in der Skizzierung des Feindbilds auch antisemitische Konnotationen eine Rolle, etwa wenn behauptet wird, das „Schuldgeld- und Zinssystem in Verbindung mit der Geldschöpfung aus dem Nichts“ sei eine der zentralen Säulen des „destruktiven Systems“, das „alle Völker dieser Erde in Schuld und damit in Abhängigkeit“ halte und in dem eine Umverteilung „von den fleißigen Menschen hin zum Bankenkartell“ erfolge.
Das durch das KRD aufgebaute „Gemeinwohl-Finanzsystem“ wolle dagegen „Freiheit und echten Wohlstand auf einer breiten Basis schaffen“.
Die Aktivitäten des KRD sind auf den „Obersten Souverän“ als Person zugeschnitten. Um ihn als Gründer, Anführer und „Obersten Souverän“ hat sich seitdem ein regelrechter Personenkult entwickelt. Er verfügt dabei über eine charismatische Ausstrahlung, dank der es ihm gelungen ist, eine sektiererische Gemeinschaft aufzubauen und immer wieder Menschen mit seinen Heilsversprechungen so einzunehmen, dass sie unentgeltlich etwa an den Renovierungen von KRD-Objekten mitarbeiten oder für die angebotenen Seminare teils mehrere Hundert Euro aufwenden. Auch gelingt es ihm, Anhänger seines Fantasiestaats dazu zu bringen, erhebliche Geldbeträge zu spenden.
Durch die „Verfassung“ und verschiedene KRD-Strukturen wie zum Beispiel die „Deutsche Heilfürsorge“ (vergleichbar mit einer Krankenkasse), eine „Rentenkasse“, ein „Meldeamt“ und eine „Königliche Reichsbank“, die als „Staatsbank“ des KRD ausgewiesen wird, simuliert das KRD ein vermeintlich autarkes Staatswesen. Es suggeriert seinen Anhängern fälschlicherweise, sie könnten sich durch einen „Übertritt“ zum KRD der Geltung der deutschen Gesetze entziehen und sich unter anderem von der Steuerpflicht befreien, da man – nach eigener Auffassung – nicht Teil des „internationalen Finanzsystems“ sei. Das KRD stellt sich somit als einzige Alternative zum derzeitigen System dar.
Eine der mitgliederstärksten „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Gruppierungen
Das KRD wirbt kontinuierlich um neue Mitglieder und besonders offensiv um Gewerbetreibende und Geldgeber.
So wird regelmäßig zum „Tag der offenen Tür“ in die Räumlichkeiten des KRD in Lutherstadt Wittenberg zu „Messen“ und Seminaren eingeladen. Hierzu gehören sogenannte Gemeinwohlmessen und Unternehmerseminare, bei denen Unternehmern der Wechsel in den „Rechtskreis des KRD“ angeboten wird, in dem angeblich keine Mehrwertsteuer anfalle. Bei diesen Gelegenheiten versucht das KRD, Interessierten die „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Ideologie näherzubringen und zu einem „Übertritt“ in das KRD zu animieren.
Daneben spielen die zahlreichen – zum Teil professionell gestalteten – Websites des KRD sowie Kanäle in den sozialen Medien für die Mitgliederwerbung eine wichtige Rolle.
Interessierte werden vom KRD dazu aufgefordert, zunächst eine „Staatszugehörigkeit“ und in einem nächsten Schritt eine „Staatsangehörigkeit“ zu beantragen, wobei insbesondere letztere mit erheblichen Kosten sowie einer Staatsangehörigkeitsprüfung einhergeht. Die „Staatszugehörigkeit“ als „erste und einfachste Verbindung mit dem Königreich Deutschland“ erwirbt bereits derjenige, der erklärt, die „Vision“ des KRD einer „besseren und gerechteren Welt“ zu teilen. Die Staatszugehörigkeit, so das KRD, könne am ehesten mit einer kostenfreien Vereinsmitgliedschaft in der BRD verglichen werden.
Nach eigenen Angaben verfügt das KRD derzeit über mehr als 6.000 Mitglieder; über 800 davon zählt die Gruppierung zu ihrem „Staatsvolk“ (Stand Mitte November 2023). Es handelt sich damit um eine der mitgliederstärksten „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Gruppierungen bundesweit.
Der „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Szene werden aktuell insgesamt 23.000 Personen (Stand 31. Dezember 2022) zugerechnet.
Die Szene ist sehr heterogen und setzt sich aus Einzelpersonen ohne Einbindung in Strukturen, Kleinst- und Kleingruppierungen, überregional agierenden Personenzusammenschlüssen und virtuellen Netzwerken zusammen.
Derzeit existieren rund 30 länderübergreifend aktive Gruppierungen, wozu neben dem KRD beispielsweise „Bismarcks Erben“, die „Verfassunggebende Versammlung“ oder der „Staatenbund Deutsches Reich“ gehören.
Aktivitäten
Besonders umtriebig zeigte sich das KRD zuletzt hinsichtlich des Aufbaus eines „autarken Wirtschaftskreislaufs“ sowie der Erweiterung des „Staatsgebiets“ durch den Erwerb von Grundstücken und Immobilien. Unter der Begrifflichkeit der Autarkie versteht das KRD nach Eigenangaben einen hohen Anteil an Eigenversorgung seiner Anhänger mit biologisch angebauten Lebensmitteln und mit Energie oder die Einrichtung von Gesundheitshäusern, Geburtshäusern und Elternschulen. Angestrebt wird damit die Eigenwirtschaftlichkeit und Unabhängigkeit von der Euro-Wirtschaft und von bestehenden Systemstrukturen.
Mit dem Versprechen, der KRD-Wirtschaftskreislauf sei von der Bundesrepublik Deutschland und dem Bankensystem unabhängig und dabei zins- und steuerfrei, wirbt das KRD massiv um Einzahler für die „GemeinwohlKasse“, um Spenden beziehungsweise „Kapitalüberlassungen“ und für den Umtausch von Euro in die Fantasiewährung „E-Mark“ (für digitale Zahlungen) beziehungsweise „Neue Deutsche Mark“ (für Barzahlungen). Beide Bezeichnungen werden parallel genutzt und dienen bei einem Wechselkurs von einer E-Mark zu 1,10 Euro der reinen Geldgewinnung.
Daneben betreibt das KRD einen Online-Marktplatz „KadaRi“ („Kauf das Richtige!“), auf welchem der Kaufprozess ohne Steuern und in der fiktiven Währung „E-Mark“ abläuft.
Anhänger des KRD riskieren große finanzielle Schäden, da das KRD nach eigenen Angaben keinen Rückzahlungsanspruch und keine Möglichkeit zum Rücktausch der „E-Mark“ einräumt. Trotzdem erhält das KRD von seinen Anhängern immer wieder beträchtliche Großspenden in bis zu fünfstelliger Höhe und Vermögenswerte.
Immobilienerwerb durch das KRD: „Gemeinwohldörfer“
Die dem KRD zufließenden erheblichen Vermögenswerte ermöglichten im Jahr 2022 den Erwerb zweier größerer Grundstücke mitsamt Immobilien in Sachsen. Beide Grundstücke werden vom KRD als „Staatsgebiet“ angesehen. In Lutherstadt Wittenberg verfügt das KRD bereits seit Längerem über eine Immobilie, die gegenwärtig noch als Hauptsitz der Organisation angesehen werden kann.
Anfang Februar 2022 gelang es dem KRD, ein weiteres, über 50.000 Quadratmeter großes Grundstück in Eibenstock-Wolfsgrün (Sachsen) zu erwerben. Dort wurde ein „Seminar- und Gesundheitszentrum“ eingerichtet, in dem bereits Seminare angeboten werden. Auf dem Grundstück befinden sich mehrere Gebäude – darunter ein Hotel – sowie Landwirtschafts-, Wald- und Wasserflächen. Der Kaufpreis betrug insgesamt 2,3 Millionen Euro.
Nur wenige Wochen später wurden Pläne des KRD zum Erwerb einer weiteren Immobilie in Sachsen bekannt. Bei dem inzwischen durch das KRD erworbenen Anwesen handelt es sich um ein Schloss in Bärwalde (Sachsen). Die Kaufsumme betrug mehr als 1,3 Millionen Euro. Hier ist der Aufbau eines sogenannten Gemeinwohldorfs geplant.
Der Erwerb einer weiteren Immobilie in Halsbrücke (Sachsen) im Mai 2023 belegt die vom KRD verfolgte Strategie, Liegenschaften für den Aufbau sogenannter Gemeinwohlstrukturen zu erwerben. Ziel ist die Erweiterung des vermeintlichen Staatsgebiets des KRD. Der Kauf von Liegenschaften erfolgt zur Verschleierung des eigentlichen Käufers in der Regel über weniger bekannte Anhänger des KRD. Dies führt dazu, dass eine Verbindung zum KRD oft erst nachträglich öffentlich wird. So gelang es beispielsweise einer Anhängerin des KRD bereits im Jahr 2022 zwei größere Immobilien in Bad Lauterberg (Niedersachsen) und in Gera (Thüringen) zu erwerben. Eine Verbindung zum KRD wurde erst 2023 bekannt.
In den „Gemeinwohldörfern“ sollen autarke Strukturen entwickelt werden. Geplant ist die Entstehung von Wohn-, Gemeinschafts-, Arbeits- sowie Gästebereichen. Die Immobilien sollen jedoch nicht nur für ein eigenversorgtes Zusammenleben, sondern auch für extremistische Aktivitäten genutzt werden. So ist es geplant, in den Räumlichkeiten zukünftig Seminare, wie etwa die „Systemausstiegsseminare“ anzubieten. Im Rahmen dieser Seminare werden nach Angaben des KRD vermeintlich „legale Ausstiegskonzepte aus dem destruktiven ‚System Bundesrepublik‘ vermittelt“.
Nicht zuletzt mittels solcher Veranstaltungen versucht das KRD seine Anhänger mit zahlreichen Versprechungen wie der Steuerfreiheit im KRD zum Bruch von Gesetzen und Verordnungen der Bundesrepublik Deutschland zu verleiten. Daneben dienen die Seminare auch der Generierung von Einnahmen für die Organisation, indem die Teilnehmer für die angebotenen Schulungsveranstaltungen teils mehrere Hundert Euro aufwenden. So werden Seminare – entweder am Standort in Lutherstadt Wittenberg oder online – angeboten, bei denen das Basismodul 374 Euro je Teilnehmer kostet und durch weitere Module ergänzt werden kann.
Schließung der „GemeinwohlKassen“ durch die BaFin
Daneben betreibt das KRD sogenannte GemeinwohlKassen. Zweck dieser „GemeinwohlKassen“ ist nach Aussage des KRD die Investition der eingezahlten Gelder in „regionale Projekte“ des KRD. Die Anleger sollten ihr Kapital bei der „GemeinwohlKasse“ einzahlen. Eine solche Beteiligung erwirtschafte eine nicht näher bezifferte Rendite. Das gesamte „autarke“ Finanzsystem und Staatswesen des KRD soll dabei den Anhängern der Gruppierung vermeintliche Vorteile und Sicherheit gegenüber dem System der Bundesrepublik Deutschland suggerieren. Tatsächlich riskieren die Anhänger des KRD jedoch erhebliche finanzielle Schäden, da sie keine Ansprüche auf Rückzahlungen der eingezahlten Beträge – so das KRD – haben.
Die erste Filiale der „GemeinwohlKasse“ war im September 2020 in Ulm eröffnet worden, drei weitere in Dresden, Menden (Nordrhein-Westfalen) und Lutherstadt Wittenberg folgten in der Zeit darauf.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hatte den Betreibern der „GemeinwohlKassen“ bereits im Jahr 2021 die Anbahnung, den Abschluss und die Abwicklung der unerlaubten Bank- und Versicherungsgeschäfte untersagt. Diese Anordnungen sind zwar bestandskräftig, wurden seitens des KRD aber – abgesehen von der Schließung des „GemeinwohlKasse“ am Standort Ulm – nicht befolgt. Am 23. Februar 2023 setzte die BaFin die Schließung der noch bestehenden drei „Repräsentanzen“ der KRD-eigenen „GemeinwohlKasse“ mithilfe der örtlichen Polizeien zwangsweise durch. Die Geschäftsräume wurden versiegelt.
Gefährdungspotenzial
Das KRD ist eine extremistische „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Gruppierung. Seine Aktivitäten zielen darauf ab, die gültige Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland außer Kraft zu setzen und durch ein eigenes System zu ersetzen, in dem demokratische Grundsätze und Gesetze wie auch staatliche Schutzvorschriften generell keine Geltung haben sollen. Dies betrifft zum Beispiel Bestimmungen des Steuerrechts, der Gewerbeordnung, des Arbeitnehmerschutzes, des Verbraucherschutzes und viele weitere staatliche Regelungen, deren Wirksamkeit in der Scheinordnung des KRD generell in Abrede gestellt werden.
Dieses System birgt die Gefahr einer erheblichen Schädigung sowohl der eigenen Anhängerschaft als auch möglicher Kunden der „Unternehmen im KRD“. Die eigene Anhängerschaft des KRD wird zu rechtswidrigem Verhalten ermuntert. In diesem Zusammenhang ist es nicht überraschend, dass das KRD den Anordnungen der BaFin hinsichtlich der „GemeinwohlKassen“ keine Folge leistete.
Auch wenn seitens des KRD keine gewaltsamen Aktionen propagiert werden, so bestimmt doch eine „Wehrverfassung“ („Abschnitt V der Verfassung des KRD), dass jedem Deutschen grundlegendes Wissen über Selbstverteidigung mit und ohne Waffen sowie das erforderliche Rechtswissen um diese Kenntnisse vermittelt werden solle. Diese programmatischen Äußerungen bieten jedenfalls einen Ansatzpunkt für eine potenzielle Radikalisierung, zumal „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“, die – wie das KRD – die staatliche Ordnung nicht anerkennen, sich mitunter zur „Selbstverteidigung“ gegen staatliche Eingriffe befugt sehen.
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Ausblick
Das KRD wird auch weiterhin um Mitglieder und Geldgeber werben, um sowohl seine Strukturen als auch sein vermeintliches Staatsgebiet bundesweit kontinuierlich auszubauen. So deuten Hinweise darauf hin, dass das KRD bestrebt ist, auch in anderen Bundesländern größere Grundstücke und Liegenschaften zur Einrichtung von „Gemeinwohldörfern“ zu erwerben.
Es steht zu befürchten, dass Menschen, die finanzielle Ängste verspüren und nach alternativen Lebensformen und Geldanlagen suchen, für die Versprechungen des KRD empfänglich sein könnten und sich – ohne rechtliche Wirkung – dem KRD anschließen könnten. Unternehmer, die sich dem KRD anschließen, erhoffen sich zudem nicht nur steuerliche Vorteile, sondern auch Vorteile für ihre Geschäftsbeziehungen. So behaupten „Unternehmen im KRD“, für ihre Geschäftsbeziehungen würden die Bestimmungen des KRD gelten.
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