Methoden ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland
(Juli 2023)
„Die Band war mitreißend, der Wein hervorragend, die Stimmung gelöst. Es war einfach ein schöner Konzertabend und er fand zudem in den beeindruckenden Räumen der Botschaft statt. Möglich gemacht hatte ihn ein in der Botschaft beschäftigter Bekannter, der mit seinen Verbindungen für eine exklusive Einladung gesorgt hatte.“
Eine derartige Gefälligkeit unter Bekannten ist nicht verwerflich. Im Gegenteil: Sie ist ein schöner Beweis dafür, dass sich jemand für einen anderen Menschen interessiert und ihm eine Freude macht. Wer gleichgesinnte Personen kennenlernt, erfährt in der Regel, dass gegenseitige Aufmerksamkeiten Teil von Beziehungen sind, in denen sich lose zu guten Bekanntschaften und im schönsten Fall zu festen Freundschaften entwickeln.
- Was aber, wenn der gute Bekannte nicht ganz so gute Absichten hat?
- Was, wenn das zufällige Kennenlernen auf der Fachtagung im Vorjahr nicht ganz so „zufällig“ war?
- Was wäre, wenn die Gefälligkeit nicht aus Freundlichkeit, sondern aus kalter Berechnung erfolgte?
- Dann ist der gute Bekannte wohl ein Agent und man selbst das Ziel eines ausländischen Nachrichtendienstes.
Was tun ausländische Nachrichtendienste in Deutschland?
Warum werden Menschen, Behörden, Unternehmen oder Forschungsstätten in Deutschland zum Ziel ausländischer Nachrichtendienste?
Der Grund dafür ist, dass alle etwa 200 Staaten der Welt verschiedene Interessen haben. Die Möglichkeiten zur Durchsetzung dieser Interessen erhöhen sich, wenn ein Staat über eine starke Wirtschaft oder einsatzfähige Streitkräfte verfügt. Und eben auch über einen Informationsvorsprung bei Verhandlungen.
Deshalb bemühen sich Staaten darum, ihre Wirtschaft, ihre Streitkräfte und ihren Wissensstand in Diplomatie und Politik auch durch geheime Aktivitäten zu stärken.
Zudem gibt es heikle Bereiche, in denen offene Verhandlungslösungen nicht erwartet werden. In all diesen Fällen setzen einige Staaten geheime Nachrichtendienste ein. Diese betreiben dann, entsprechend der Auftragslage ihrer Regierung Spionage.
Spionage zur Informationsbeschaffung
Mit Spionage beschaffen Nachrichtendienste - hauptsächlich durch den Einsatz menschlicher Quellen - geheim gehaltene Informationen anderer Staaten aus Bereichen wie Politik, Militär, Wirtschaft oder Wissenschaft. Das können Pläne von Regierungen, Funktionsweisen von Waffensystemen, Strategien von Unternehmen oder Erkenntnisse von Forschungsinstituten sein.
Cyberangriffe auf Systeme und Netzwerke
Mit Cyberangriffen können Nachrichtendienste in unserer digitalisierten Welt aus sicheren Basen im eigenen Land heraus in anderen Ländern tätig werden. So wollen sie sich in Computer oder ganze Netzwerke hacken, um etwa Daten zu stehlen. Zudem richten sie Schäden durch die Abschaltung von Systemen oder die Verbreitung von Desinformation an.
Einflussnahme durch Propaganda und Desinformation
Mit Einflussnahme wollen Nachrichtendienste auf eine illegitime Weise politische oder wirtschaftliche Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger im Sinne ihrer Staatsführung beeinflussen. Außerdem versuchen sie, mit Propaganda vermeintliche Vorzüge autoritärer oder gar diktatorischer Staaten herauszustellen, um diese als Alternative zur offenen Gesellschaft und zum demokratischen Rechtsstaat anzupreisen. Mit Desinformation wollen sie bei der deutschen Bevölkerung Zweifel an der demokratischen Ordnung hervorrufen.
Sabotage gegen die Infrastruktur
Mit Sabotage können Nachrichtendienste so genannte Kritische Infrastrukturen (KRITIS) zerstören bzw. massiv beschädigen, die eine zentrale Bedeutung für das gesellschaftliche Leben und die staatliche Funktionsfähigkeit haben. Eine Bedrohung besteht bereits in der Phase der Vorbereitung möglicher Anschläge gegen Verkehrseinrichtungen, Kraftwerke, Pipelines, Krankenhäuser oder Kommunikationseinrichtungen.
Staatsterrorismus bis zum Mord
Mit Staatsterrorismus begehen Nachrichtendienste einiger besonders aggressiver Staaten schwerste Verbrechen. Er kann erfolgen, um die deutsche Regierung zu einem bestimmten Handeln zu zwingen. Meistens richtet er sich jedoch gegen Regimegegner, die vor den Diktaturen ihrer Heimatländer nach Deutschland geflohen sind und „zum Schweigen gebracht“ werden sollen. Dazu erfolgen massive, das Leben von Menschen zerrüttende Bedrohungen, aber auch Entführungen oder sogar Mordanschläge.
Proliferation zum Bau von Massenvernichtungswaffen
Mit Proliferation reagieren die Nachrichtendienste einiger Staaten auf internationale Beschränkungen im Bereich der Entwicklung und Weiterentwicklung von ABC-Waffen. Sie versuchen auf illegale Weise, atomare, biologische und chemische Massenvernichtungswaffen, für deren Einsatz benötigte Raketen und andere Trägersysteme, beziehungsweise Wissen zu deren Herstellung zu besorgen.
Welche Methoden werden von ihnen eingesetzt?
Ausländische Nachrichtendienste haben ein breites Set an Methoden entwickelt, mit dem sie ihre Aufgaben erfüllen. Spionage als klassischer Arbeitsschwerpunkt nachrichtendienstlichen Handelns beinhaltet verschiedene Formen der Informationsbeschaffung. So können mit Satelliten Kasernen und Fabriken ausgekundschaftet oder mit Abhöreinrichtungen Funk und andere elektronische Kommunikation abgehört werden.
Die zentrale Methode besteht allerdings darin, Menschen als Informationsquellen zu gewinnen.
Dazu werben Nachrichtendienste etwa Personen mit Einfluss oder Zugang zu sensiblen Informationen an. Sie forschen zunächst aus, wer interessante Möglichkeiten beziehungsweise Kenntnisse hat und Ansatzpunkte für den Aufbau einer nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit bietet. Danach sprechen psychologisch geschulte Nachrichtendienstangehörige die Zielpersonen im Rahmen einer zunächst unverfänglichen Kontaktaufnahme an, etwa während einer Ausstellung oder einer Konferenz.
Bereits in diesem Stadium schöpfen sie durch eine professionelle Gesprächsführung unauffällig Informationen ab. Erfolgreich angebahnte Kontakte bauen sie über einen längeren Zeitraum zu immer persönlicher werdenden Beziehungen aus. Sie bieten etwa Unterstützung bei privaten oder beruflichen Projekten an oder bitten um unverfängliche Gefälligkeiten. Dazu kann beispielsweise die Abfassung eines Textes aus allgemein zugänglichen Informationen gehören. Solche Leistungen entlohnen sie dann durch Essenseinladungen oder Geldzahlungen. Wenn sich Zielpersonen an die Beziehungen gewöhnt haben, werden sie oft zu einer festen Zusammenarbeit verpflichtet.
Am einfachsten ist die erste Kontaktaufnahme auf dem eigenen Staatsgebiet möglich. Dort werden aus Deutschland eingereiste Geschäftsleute, Touristen oder Familienbesucher problemlos überwacht und gegebenenfalls angesprochen.
In Deutschland kann man Nachrichtendienstmitarbeiter als Diplomaten tarnen, damit sie innerhalb der eigenen Botschaft oder in ihren Konsulaten sogenannte Legalresidenturen bilden. Sie genießen eine diplomatische Immunität.
Diese schützt sie zwar vor einer möglichen Verhaftung; sie können aber aus Deutschland ausgewiesen werden. Riskanter ist im Vergleich dazu die Tarnung als Mitarbeiter staatlich beeinflusster Einrichtungen (z.B. Presseagenturen oder Luftfahrtgesellschaften). Zudem bieten sich Botschafts- und Konsulatsgebäude als Standpunkte für Abhöranlagen an.
Einige ausländische Nachrichtendienste missbrauchen die Kooperationen von Forschungseinrichtungen ihres eigenen Landes mit deutschen Hochschulen oder Instituten für einen so nicht gewollten einseitigen Wissenstransfer. Dies schließt den Einsatz von Doktoranden und sonstigen Gastwissenschaftlern im Rahmen des international üblichen wissenschaftlichen Austausches mit ein.
Cyberangriffe sind zunächst Bedrohungen, die tagtäglich von unterschiedlichen Akteuren ausgehen, oftmals von Cyberkriminellen. Nachrichtendienste nutzen aber darüber hinaus die finanziellen, technischen und personellen Möglichkeiten ihrer Staaten, um langfristig arbeitende, hochprofessionell vorgehende Einheiten zu bilden. Deren Cyberabgriffe können sich über einen längeren Zeitraum derart umfassend entwickeln, dass sie regelrechte Angriffswellen bilden. Diese Einheiten wirken durch die hochentwickelte, langanhaltende Bedrohung als sogenannte Advanced Persistent Threats.
Sie schleusen häufig eine Schadsoftware in einen Zielcomputer oder Zielnetzwerk ein, indem sie Userinnen und Usern individuell zugeschnittene E-Mails zuschicken. So sollen die Zielpersonen glauben, eine bekannte Stelle (z.B. ein Sportverein oder eine Bank) sei der Absender. Die betreffende E-Mail kann allerdings einen kontaminierten Anhang oder einen Link auf eine mit Schadsoftware versehene Webseite enthalten. Öffnet das Opfer dann den Anhang oder besucht eine Webseite, löst sich die Einschleusung der Schadsoftware aus. Bei dieser Vorgehensweise greifen Nachrichtendienste auf von ihnen zuvor durch Spionage beschaffte Informationen aus dem persönlichen Umfeld zurück. Im Vergleich zu gewöhnlichen Cyberkriminellen täuschen sie einen vermeintlich seriösen Absender weitaus glaubhafter vor.
Mehr zum Thema: Die Cyberabwehr
Einflussnahme erfolgt durch verschiedene Staaten mit dem Ziel, die deutsche Gesellschaft auf eine Art zu beeinflussen, die über eine legitime Verbreitung eines positiven Bildes des eigenen Staates oder die offene Beziehungspflege zu Politikerinnen und Politikern hinausgeht.
In der Welt von Politik und Wirtschaft pflegen sie verdeckte Beziehungen zu einflussreichen Personen. Sie bemühen sich auch unter Einsatz ihrer Nachrichtendienste darum, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratische Ordnung, in behördliche Strukturen oder unabhängige Medien zu beschädigen.
Gerade im Umfeld von Wahlen greifen sie in den politischen Willensbildungsprozess der Bevölkerung ein.
Sie nutzen die durch Cyberangriffe gestohlenen Daten für Desinformation, lassen Influencerinnen und Influencer in sozialen Medien für sich arbeiten oder verbreiten Propaganda durch staatliche Medienanstalten.
Mehr zum Thema: „Desinformation als Mittel gezielter Einflussnahme fremder Staaten“
Sabotage, insbesondere gegen Einrichtungen der Kritischen Infrastruktur, kann sowohl durch Cyberangriffe als auch durch Brand- oder Sprengstoffanschläge erfolgen. Nachrichtendienste sind in der Lage, diese derart verdeckt auszuführen, dass eine Beweisführung nur sehr schwer möglich ist. Allerdings kann bei Anschlägen, bei denen die Täter unbekannt bleiben, die aber nur mit erheblichem Aufwand und großem Fachwissen durchführbar sind, von seinem staatlichen Hintergrund unter Beteiligung von Nachrichtendiensten ausgegangen werden.
Staatsterrorismus ist die hemmungsloseste Art nachrichtendienstlichen Handelns. Er umfasst Schwerverbrechen, um Einzelne zu töten, Schrecken zu verbreiten oder eine Regierung zu einem bestimmten Handeln zu zwingen. Zum Staatsterrorismus gehören Entführungen, Sprengstoffanschläge oder die Ermordung von Regimegegnern.
Wie bei Sabotageakten kann die Täterschaft aufgrund einer sie begleitenden professionellen Tarnung häufig nicht lückenlos mit öffentlich präsentierbaren Beweisen belegt werden. Jedoch kann auch bei Terrorakten, bei denen ein Nutzen für einen Staat ersichtlich und deren Tatausführung äußerst aufwändig ist, zumeist von einem nachrichtendienstlichen Hintergrund ausgegangen werden.
Das betrifft beispielsweise die Ermordung eines in Deutschland lebenden Mannes, der im Zweiten Tschetschenienkrieg für die Unabhängigkeit Tschetscheniens gegen die russische Armee gekämpft hatte. Er wurde 2019 in Berlin in der Parkanlage Kleiner Tiergarten von einem russischen Staatsbürger erschossen. Das Berliner Kammergericht rechnete den Schützen dem staatlichen Sicherheitsapparat Russlands zu, verurteilte ihn wegen Mordes und bewertete das Verbrechen als Staatsterrorismus.
Nicht nur Russland, sondern auch Iran ist für Staatsterrorismus bekannt. So entführen iranische Nachrichtendienste weltweit im Ausland lebende Regimegegner, um sie zum Schweigen zu bringen. Menschen mit zwei Staatsbürgerschaften, die in ihre alte Heimat reisen, können festgenommen und als Geiseln gegen die Regierungen ihrer neuen Heimatländer eingesetzt werden.
Proliferation betreiben Länder, die internationale Beschränkungen oder Sanktionen im Bereich der ABC-Waffen umgehen möchten. Dazu setzen sie nicht nur Forschungsinstitute und Firmen ein, sondern auch ihre Nachrichtendienste. Diese beschaffen entsprechende Güter über Tarnfirmen und verschleierte Geldüberweisungen. Zudem versuchen sie zivile Waren, die aber auch militärisch genutzt werden können (Dual-Use-Güter) mit Falschangaben rein ziviler Nutzungsabsichten zu erwerben.
Warum sollten sie sich für mich interessieren?
Wenn es um die Anwerbung neuer „Freunde“ geht, nehmen ausländische Nachrichtendienste insbesondere Personen mit Einfluss sowie Spezialwissen ins Visier. So verfügt etwa eine Bundestagsabgeordnete über sensibles politisches Hintergrundwissen, ein hoher Offizier kennt die geheime Einsatzplanung von Truppenteilen, ein Automanager weiß um die Strategie seines Unternehmens im Bereich des autonomen Fahrens und eine Wissenschaftlerin hat Zugang zu neuesten Erkenntnissen ihres Forschungsinstituts zur Materialforschung.
Daraus zu schließen, dass man selbst im Vergleich zu derartigen Personen „uninteressant“ sei, wäre jedoch ein Fehler. Ausländische Nachrichtendienste sind sehr einfallsreich und suchen permanent nach immer neuen Möglichkeiten zur Erfüllung der ihnen gestellten Aufgaben. Für sie kann ebenso ein nach außen unauffälliger Mitarbeiter der Poststelle eines Labors äußerst interessant sein. Denn er kann beim Versand von Briefen und Dateien sensible Informationen stehlen. Ebenso bedeutungsvoll kann die Nachbarin eines aus Iran stammenden Mannes sein, der sich für demokratische Rechte und Menschenwürde in seiner alten Heimat einsetzt. Denn sie kann Kenntnis über dessen geplante Reisen haben.
Viele ausländische Nachrichtendienste sind in Deutschland aktiv. Dabei ist zu bedenken, dass bei sich entwickelnden Kontakten zu ungewöhnlich entgegenkommenden Personen, insbesondere aus Diktaturen wie Russland, China, Iran oder Nordkorea, ein Bewusstsein um die Aktivitäten derer Nachrichtendienste angebracht ist. Das eigene Verhalten sollte sich daher im beruflichen wie privaten Umfeld auch an Erfordernissen präventiver Sicherheit orientieren. Dies muss aber nicht zu generellen Vorbehalten gegenüber Bürgerinnen und Bürgern dieser Staaten führen.