Bundesamt für Verfassungsschutz legt neues Lagebild zum Antisemitismus vor
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat die Fortschreibung seines erstmals im Juli 2020 erschienenen Lagebilds Antisemitismus veröffentlicht. Das Lagebild beschäftigt sich mit Antisemitismus in den Phänomenbereichen Islamismus, auslandsbezogener Extremismus, Rechtsextremismus, „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“, „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ und Linksextremismus. Es zeigt die Entwicklungen in den Jahren 2022 und 2023, und gibt eine Prognose ab, mit welchen Gefahren zu rechnen ist.
In den vergangenen zwei Jahren waren vor allem zwei Ereignisse für die zunehmende Sichtbarkeit von Antisemitismus von Bedeutung: die Coronapandemie ab 2020 und die Eskalation des Nahostkonflikts beziehungsweise des Gaza-Krieges aufgrund des Angriffs der Hamas auf Israel im Oktober 2023. So wurden vor dem Hintergrund der Coronapandemie antisemitisch grundierte Verschwörungserzählungen verbreitet. Neu war, dass diese auf einer relativ breiten Basis und nicht nur unter Extremisten verfingen. Mit Ausbruch des Gaza-Krieges und den damit verbundenen Demonstrationen war auffallend, dass sich sonst im Hinblick auf Antisemitismus eher zurückhaltende Extremisten nun weitaus offener antisemitisch äußerten. Extremisten aller Art instrumentalisieren den Krieg in Nahost und nutzen den Antisemitismus für ihre Agenda. Er ist häufig ein verbindendes Element – auch in Mischszenen und über ideologische Grenzen hinweg.
Antisemitische Bilder können zur Agitation beitragen und damit Menschen zu Handlungen antreiben. So hat auch antisemitisch motivierte Gewalt in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.
Seit 2022 ist die Bedeutung des digitalen Raumes für die Verbreitung von antisemitischen Vorstellungen weiter gestiegen, was wesentlich zu einer auch realweltlichen Radikalisierung beitragen kann. Eine neuere Entwicklung stellen zudem KI-generierte antisemitische Bilder dar, die vor allem in der rechtsextremistischen Szene virulent sind.
Zugleich zeigte sich der Antisemitismus aber auch im analogen Raum beispielsweise auf Demonstrationen oder in Printmedien stärker als in den Vorjahren. In der Kommunikation insgesamt nahm die subtile Darstellung des Antisemitismus in den vergangenen Jahren weiter zu: Codes, Chiffren und Anspielungen (wie beispielsweise „Globalisten“) spielten eine immer größere Rolle.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser:
„Der 7. Oktober 2023 war für Jüdinnen und Juden eine tiefe Zäsur - auch in Deutschland. Seit den barbarischen Terrorangriffen der Hamas auf Israel und dem folgenden Gaza-Krieg sehen wir einen drastischen Anstieg von antisemitischen Straftaten. Dabei hat sich die Gesamtzahl gegenüber 2022 fast verdoppelt. Die Spirale, dass Eskalationen im Nahen Osten zu noch mehr widerwärtigem Judenhass bei uns führen, müssen wir durchbrechen.
Ich bin den Polizeikräften der Länder für ihren starken Einsatz zum Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen sehr dankbar. Unsere Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern tauschen sich eng aus, um die Bedrohungslage laufend zu bewerten und treffen die notwendigen Maßnahmen. Weiterhin sehen wir eine große Zahl antisemitischer Straftaten durch Rechtsextremisten - und einen drastisch zunehmenden islamistisch geprägten Antisemitismus.
Judenfeindliche Straftaten müssen mit aller rechtsstaatlichen Härte verfolgt werden. Wir haben die Terrororganisation Hamas und ihre Unterstützer vom Verein Samidoun in Deutschland verboten. Jede Propaganda für den Hamas-Terror ist eine Straftat. Wir haben dafür gesorgt, dass keiner mehr den deutschen Pass bekommen darf, der durch Judenhass und Islamismus auffällt. Hetzer und Straftäter ohne deutschen Pass können jetzt sehr viel schneller abgeschoben werden.“
Präsident Thomas Haldenwang:
„In den vergangenen Monaten ist die Zahl antisemitischer Straf- und Gewalttaten in Deutschland rasant angestiegen. Diese Zahlen sollten uns alle beunruhigen. Das Gefahrenpotenzial für Menschen und Einrichtungen jüdischen Glaubens in Deutschland ist drastisch gestiegen. Wir müssen leider den traurigen und zugleich historisch verbrieften Befund unterstreichen, dass auch in der aktuellen politischen Weltlage das Erstarken des Antisemitismus ein eindeutiger Krisen-Seismograph ist.
Der Antisemitismus zeigt sich weiterhin in allen Erscheinungsformen des Extremismus. Unser aktualisiertes Lagebild bestätigt sehr eindrücklich, dass der Antisemitismus bei vielen Feinden der Demokratie in unterschiedlicher Ausprägung festzustellen ist, wobei die Sozialen Medien eine zentrale Rolle bei deren Verbreitung spielen. Hier stellen wir Verschwörungstheorien und Falschmeldungen in immer größerem Ausmaß fest.
Wir alle müssen dem entgegenwirken. Dies ist nicht nur die Aufgabe von Sicherheitsbehörden, sondern dies ist eine Aufgabe, die die gesamte Gesellschaft betrifft. Den in jüngster Zeit oftmals zitierte Satz „Nie wieder ist jetzt“ sollten alle gesellschaftlichen Bereiche verinnerlichen – ob in Schule, Universität, Verein oder Arbeitsstätte – wir alle müssen gegen Antisemitismus aufstehen und den entsprechenden Narrativen entschieden entgegentreten.“
Das Lagebild ist unter www.verfassungsschutz.de abrufbar und steht als Broschüre zur Verfügung.
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