Statement von BfV-Präsident Thomas Haldenwang zur Sicherheit der Bundestagswahl 2021
Datum
14.07.2021
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Minister,
sehr geehrte Damen und Herren von der Presse,
die allgemeine Sicherheitslage in Deutschland hat auch Auswirkungen auf den Verlauf der Bundestagswahl und den Wahlkampf insgesamt. Lassen Sie mich deshalb ein kurzes Update geben im Hinblick auf die für die Wahl besonders relevanten Phänomenbereiche.
Ich kann nur betonen, wie bereits kürzlich auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2020, dass der Rechtsextremismus nach wie vor die größte Gefahr für die Sicherheit und Demokratie in unserem Land darstellt.
Wir sprechen von 33.300 Personen in diesem Milieu, 13.300 davon sind gewaltorientiert – das darf man nicht vergessen. Zu dieser Szene gehören terroristische Strukturen ebenso wie die klassische Szene mit ihren Kameradschaften und sonstigen Zusammenschlüssen. An Bedeutung gewinnt immer mehr die sogenannte Neue Rechte, deren Vertreter wir als die geistigen Brandstifter sehen, die die Bewegung mit Ideologien unterfüttern.
Große Sorge bereitet uns ferner die rechtsextremistische Propaganda im Internet. Das Netz quillt vor Hassbotschaften über, die antimuslimisch und antisemitisch, fremdenfeindlich und demokratieablehnend sind.
Auch für den islamistischen Terrorismus kann ich keine Entwarnung geben: In Deutschland haben wir es mit 28.715 Islamisten zu tun. 2.030 Personen zählen wir zu dem islamistisch-terroristischen Personenpotential, also Personen, denen wir Terroranschläge zutrauen. Hier gibt es genügend Personen, die auch in Wahlkampfzeiten Anschläge verüben könnten.
Das können Personen sein, die sich selbst radikalisieren und mit einfachsten Tatmitteln zuschlagen, so wie wir es in den vergangenen Monaten verschiedentlich erleben mussten. Es können Kleinstgruppen sein, aber wir sehen auch Versuche des IS, sich in Europa zu reorganisieren und zu strukturieren.
Im Wahlkampf spielt auch der Linksextremismus eine Rolle: Hier sehen wir die stetig zunehmende Gewaltbereitschaft. Wir sprechen von einer Szene mit 34.300 Personen, 9.600 davon gewaltorientiert. Proportional steigt innerhalb dieser Szene der Anteil der Gewaltorientierten weiter an.
Dies sehen wir an diversen Brandanschlägen gegen rechtsextremistische Szeneobjekte, aber auch Wirtschaftsunternehmen. Hier müssen wir sehr darauf achten, dass es nicht zu einem Aufschaukeln zwischen linker und rechter Gewalt kommt.
Wir haben auch davon gesprochen, dass wir im Linksextremismus kleine klandestine Gruppen sehen, die sich vom Rest der Szene abspalten und eigene Taten planen und durchführen. Hier kommt es zu schwerer Gewalt gegen den politischen Gegner, aber auch gegen Polizeibeamte, wobei der Tod von Menschen billigend in Kauf genommen wird.
Angesichts der anstehenden Bundes- und Landtagswahlen sind im Zusammenhang mit den zunehmenden Auftritten von Parteien und Politikern vermehrt extremistische Straftaten zu beobachten.
Den Schwerpunkt dürften hier Sachbeschädigungen an Wahlplakaten oder Einrichtungen der Parteien bilden. Aber gegebenenfalls wird es auch weiter Attacken gegen Wahlstände und Wahlveranstaltungen geben.
Häufig trifft es Politiker, die für Extremisten unliebsame Entscheidungen getroffen oder Meinungen vertreten haben, oder es trifft Parteien, die für einen vermeintlichen Missstand verantwortlich gemacht werden – meist also die lokal im Einzelfall verantwortlichen Regierungsparteien.
Und Opfer ist natürlich auch sehr häufig der politische Gegner: So gab es in den vergangenen Jahren eine hohe Anzahl von linksextremistischen Straf- und Gewalttaten gegen Politikerinnen und Politiker und Einrichtungen der AfD, die von der Szene als faschistisch betrachtet werden und als "Erste-Klasse-Gegner" wahrgenommen werden.
Vor wenigen Wochen hat uns das Protestgeschehen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie noch intensiv beschäftigt. Hier kann man aktuell eine gewisse Entwarnung geben. Die Proteste sind rückläufig.
Aber nicht verschwunden sind bestimmte Protagonisten, die zuletzt auch aus dem Spektrum von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" kamen, die nach wie vor diverse Verschwörungstheorien verbreiten, demokratisch getroffene Entscheidungen ablehnen und darauf abzielen, das Vertrauen in staatliche Institutionen und seine Repräsentanten nachhaltig zu erschüttern. Hierdurch wurde der Nährboden für Meinungsmache, Manipulation und Desinformation im Informationsraum auch in Bezug auf die Wahl vergrößert.
Umso wichtiger ist es hier, dass Bürgerinnen und Bürger wachsam sind und sich intensiv informieren, eben nicht nur in ihrer Blase in sozialen Medien im Internet, sondern alle Informationskanäle nutzen, die zur Verfügung stehen, um sich ein möglichst objektives Bild über die vielfältigen Informationen zu machen.
Auch für staatliche Akteure und ihre Nachrichtendienste stellt das Umfeld der Bundestagswahl potentiell ein bedeutsames Ziel zur Einflussnahme dar. Dazu zählen unzulässige Aktivitäten im Cyberraum wie "Hack and Leak"- oder "Hack and Publish"-Operationen, bei denen durch Cyberangriffe erbeutete Informationen – entweder im Original, verfälscht oder völlig falsch – zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht werden.
Seit Februar dieses Jahres beobachtet das BfV intensive Angriffsaktivitäten eines Cyberakteurs in Deutschland. Nach bisheriger Erkenntnislage ist ein nachrichtendienstlicher Hintergrund wahrscheinlich.
Im Fokus dieser Phishing-Angriffe der Cybergruppierung GHOSTWRITER stehen insbesondere private E-Mail-Adressen von Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Landtage und deren Mitarbeitenden. Hierbei erlangte persönliche Informationen können in selektiver oder irreführender Weise veröffentlicht und auch durch manipulierte Informationen verfälscht werden, um Personen oder Parteien zu diskreditieren.
Diese Angriffe können Vorbereitungshandlungen für "Hack and Leak"-Operationen in sozialen Netzwerken darstellen. Das Konto einer Person wird gleichsam gekapert und mit gestohlenen Daten bestückt. So ist es auch in anderen Ländern geschehen.
Desinformation kann außerdem über weitere Verbreitungswege in Umlauf gebracht werden. Hierzu gehören die bereits angesprochenen "Hack and Publish"-Operationen, bei denen häufig "echte" und damit grundsätzlich glaubwürdige Nachrichtenseiten im ersten Schritt angegriffen und dann kompromittiert werden, um in einem zweiten Schritt Desinformation auf diesen Nachrichtenkanälen zu veröffentlichen.
Das ist nur ein kleiner Auszug der Bedrohungssituation. Die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern, Polizeien, Nachrichtendienste, der Verfassungsschutz, das BSI und weitere zahlreiche Sicherheitsbehörden haben sich eng vernetzt und stimmen sich in kurzen Intervallen über alle Wahrnehmungen ab. Wir unternehmen gemeinsam alle Anstrengungen, um den sicheren Verlauf der Wahl zu gewährleisten.
Wir stehen seit einiger Zeit auch in intensivem Kontakt mit den im Bundestag vertretenen Parteien und Fraktionen und informieren sie über die Gefahren, von denen ich gerade sprach. Und diese Angebote werden wir selbstverständlich ausweiten auf alle weiteren Parteien, die zur Wahl in Deutschland antreten.
Die einzelnen Maßnahmen, die im Zusammenhang mit den Cyberangriffen durchgeführt worden sind, wird im weiteren Verlauf mein Kollege Schönbohm vom BSI ausführen.
Vielen Dank.