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Eingangsstatement von BfV-Präsident Thomas Haldenwang anlässlich der siebten öffentlichen Anhörung durch das Parlamentarische Kontrollgremium im Deutschen Bundestag

Datum 16.10.2023

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, 
meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete,

erlauben Sie mir anlässlich der schockierenden Ereignisse der vergangenen neun Tage eine Vorbemerkung:
Unerträgliche Bilder zutiefst verstörender Gewalt brennen sich in unser Bewusstsein.

Wir blicken fassungslos auf die infamen Terrorakte der HAMAS, die 50 Jahre nach dem Jom Kippur Krieg unverzeihliches Leid über Israel bringen. Das schändliche Massaker an Hunderten Menschen jeden Alters ist – ich sage dies auch ganz persönlich – nicht zu ertragen!

In diesen dunklen Stunden gehört unser ganzes Mitgefühl dem israelischen Volk – und unsere vollständige Ablehnung all denjenigen, die nicht erkennen wollen, wohin Antisemitismus und Israelfeindlichkeit in letzter Konsequenz führen können: zu Menschenverachtung, Mord und Totschlag.        

Es ist sehr bezeichnend, dass auch Extremisten in nahezu allen Phänomenbereichen des Bundesamtes für Verfassungsschutz Erscheinungsformen des Antisemitismus propagieren und praktizieren.

Ich erinnere an dieser Stelle nur an den perfiden rechtsextremistischen Anschlag auf die Synagoge in Halle zu Jom Kippur vor vier Jahren.

Dies führt mich zur aktuellen Sicherheitslage in Deutschland, deren Charakter ich als ambivalent beschreiben möchte.

Einerseits bestätigen sich unsere Prognosen und Analysen zu den Entwicklungstrends der jeweiligen Arbeitsbereiche. Dies befähigt uns zu effizienten operativen Weichenstellungen und vielen Erfolgen.

Andererseits beschreiben unsere Warnungen erkannte und vielfach benannte Negativtrends. Ihr Eintreten ist daher kein Anlass zur Entspannung!

Die starke innere Substanz unserer Demokratie wird geprüft und strapaziert!      

Es verstetigen sich oft genannte Phänomene – etwa multidimensionale Krisen als Aufputschmittel für den Extremismus sowie die Entgrenzung verfassungsfeindlichen Gedankengutes in die Breite der Gesellschaft.

Rechtsextremisten bewirtschaften in bekannter Manier real existierende Ängste und Krisenerfahrungen, um die Radikalisierung der politischen Ränder zu verschärfen und ihre Agenda in die bürgerliche Mitte zu eskalieren.

Nach Corona, Energiekrise und Inflation gewinnt der Themenkomplex Migration und Asyl dabei wieder zunehmend an Bedeutung.

So sehr dieses Themen-Hopping auch die tieferliegende Motivation entlarvt, so wenig darf uns dies darüber hinwegtäuschen, dass sich extremistische Denk- und Sprachmuster in der Gesellschaft einnisten.

Die Einstiegsschwelle in den Extremismus ist gefährlich abgeflacht!

Sie wird von vielen Akteuren abgetragen, die mit einer breiten Produktpalette Sympathisanten gewinnen möchten – seien es rechtsextremistische Parteien wie die „Freien Sachsen“, Vereine oder Vertreter der Neuen Rechten.

Die als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte Partei Alternative für Deutschland – in deren Reihen ein Zuwachs des rechtsextremistischen Einflusses wahrnehmbar ist – nimmt als Bindeglied zur Neuen Rechten dabei einen maßgeblichen Stellenwert ein.

Viele Angehörige der Partei verbreiten das Narrativ eines durch einen tiefen Staat bewusst gesteuerten großen Bevölkerungsaustausch, mit dem Ziel, eine gefügige, besser steuerbare Gesellschaft zu schaffen.

Daneben beschäftigt uns natürlich die anhaltend hohe Gewaltbereitschaft im Spektrum des Rechtsextremismus, die der logische Endpunkt seiner Ideologeme ist.

Ein hohes Gewaltpotential und eine große Waffenaffinität definieren auch das Spektrum der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“. Entsprechend bleibt das Verwehren von Waffenzugängen ein Arbeitsschwerpunkt der Verfassungsschutzbehörden, unter deren Mithilfe bereits über 1.100 Szeneangehörigen die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen werden konnten.

Ebenso wirken wir weiter mit an der Reduzierung der Betätigungsmöglichkeiten rechtsextremistischer Protagonisten.

Erneut wurden Vereinsverbote ausgesprochen – jüngst gegen die sogenannten „Hammerskins Deutschland“ sowie die „Völkische Artgemeinschaft“.

In bewährtem Zusammenwirken mit der Polizei wurden auch im laufenden Jahr Exekutivmaßnahmen – zum Beispiel gegen Akteure der sogenannten Atomwaffendivision Deutschland – durchgeführt.    

Darunter stach zudem die Aufdeckung und Zerschlagung der heterogenen Gruppierung um Heinrich XIII. Prinz Reuß heraus.

Und wir behalten auch das Delegitimierungs-Spektrum im Auge, dessen harter Kern auch nach der Pandemie seine staatsfeindlichen Aktivitäten fortsetzt und eine hohe Anschlussfähigkeit an andere extremistische Szenen aufweist.  

Anschluss suchen auch Linksextremisten.

Im Themenkomplex Klimaschutz werden etwa durch Sabotageakte und Brandstiftung große Schäden verursacht – und dabei auch kritische Infrastruktur wie die Deutsche Bundesbahn attackiert.

Zudem bewerten wir die nochmals erhöhte Gefahr für schwere Gewalttaten gegen Personen als ernst.

Angriffe im In- und Ausland von militanten Kleingruppen auf von ihnen gemutmaßte Faschisten – zum Teil mittels Axt und Totschläger – zeugen von äußerster, lebensgefährlicher Brutalität.     

Uns beschäftigt die zunehmende Anzahl gewalttätiger Linksextremisten, die als untergetaucht zu bezeichnen sind. Unser Bundesamt hat eine eigene Organisationseinheit eingerichtet mit dem Ziel, die operative Bearbeitung hier zu konzentrieren, und im Verbund mit anderen Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern zu koordinieren.

Wir erachten diese weitere Schwerpunktsetzung als dringend notwendig.

Denn auch wenn die Schwelle zum Links-Terrorismus noch nicht überschritten wurde, ist die Entstehung neuer links-terroristischer Strukturen wahrscheinlicher geworden.

Terrorabwehr ist im Arbeitsfeld des jihadistischen Islamismus eine prioritäre Daueraufgabe.

Bereits in der Vergangenheit betonte ich an dieser Stelle, dass sich die relative Ruhe in diesem Bereich vor allem der harten Arbeit und hohen Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden zu verdanken ist.

Ich nenne exemplarisch nur die Festnahme von sieben mutmaßlichen Mitgliedern einer islamistisch-terroristischen Vereinigung an verschiedenen Orten im Juli in Nordrhein-Westfalen.

Sie standen in Kontakt mit im Ausland befindlichen Mitgliedern des regionalen IS-Ablegers „Provinz Khorasan“ (ISPK), planten Anschläge in Deutschland und wurden nach enger Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt und Ermittlungsbehörden in den Niederlanden gestoppt.

Nationale und internationale Kooperationen sind auch in der Spionage- und Cyberabwehr die Grundlage der bisherigen Erfolge.

Unsere Spionageabwehr hatte einen großen Anteil daran, die Präsenz der russischen Dienste in Deutschland massiv einzuschränken:
Die Ausweisungen ihrer Nachrichtendienstoffiziere gehen auf unsere Erkenntnisse zurück, sie ist wesentliche Säule des neuen Visaregimes und konnte in den letzten Jahren zahlreiche Operationen zur Enttarnung russischer Agenten durchführen.

Gleichwohl wussten wir, dass diese Schläge den Handlungsdruck für die russischen Dienste weiter verschärfen – und wir auf unabsehbare Zeit im Cyberraum attackiert und in der Realwelt durch „agents on the ground“ herausgefordert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

im dynamischen Weltgeschehen der Zeitenwende reicht die heutige Redezeit nicht ansatzweise aus – weder für die Erfolge der Sicherheitsbehörden, noch für ihre Sorgen! 

Die barbarischen Akte der HAMAS auf Israel und Russlands Invasion der Ukraine sind drastische Beispiele für das direkte Durchschlagen von Krisen auf die Sicherheitsinteressen Deutschlands und seiner Bündnispartner.

Dies wurde gerade in den vergangenen Tagen deutlich, als die Ereignisse in Nahost auch hierzulande stark emotionalisierten.

Wenn etwa in der Hauptstadt und in vielen anderen Städten der Republik die Aktivitäten des propalästinensische Netzwerkes Samidoun empörende Szenen bewirken, dann ist auch öffentlich sichtbar, was wir im Rahmen unserer nachrichtendienstlichen Tätigkeiten bereits im Verborgenen beobachtet haben.  

Die unlängst durch Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigten Betätigungsverbote gegenüber der HAMAS und Samidoun in Deutschland erfolgen als logische Konsequenz unserer Erkenntnislage. Wir arbeiten mit allen zur Verfügung stehenden Kapazitäten, um die Umsetzung der Maßnahmen schnellstmöglich zu gewährleisten.

Wir befinden uns in einer Lage, in der primär destruktive Kräfte und Veto-Spieler auch mit Gewaltanwendung das Konfliktfeld zu dominieren suchen.

Damit die Demokratie wieder in die Offensive kommen kann, bedarf es Übersicht – und fähiger Defensivspieler.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist Teil einer starken Verteidigung.

Wir unterstützen mit unseren Mitteln und Erkenntnissen weiter Behörden und politische Entscheidungsträger in ihrem täglichen Ringen für die Sicherheit unseres Landes – und im Kampf gegen Extremismus und Antisemitismus.

Vielen Dank.