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Statement von BfV-Präsident Thomas Haldenwang anlässlich des 20.Symposiums des Bundesamtes für Verfassungsschutz am 22. April 2024 in Berlin

„Auswirkungen internationaler Krisen und Ereignisse auf die Sicherheitslage in Deutschland

Datum 22.04.2024

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

erlauben Sie mir aus gegebenem Anlass eine kurze Vorbemerkung, – denn im Rahmen eines Symposiums, dass sich 

·        um Erkenntnisse zum Wohle unserer Demokratie bemüht

·        und über Gefahren für unsere Freiheit aufklärt,

komme ich nicht umhin, mit dem berühmten Königsberger Philosophen Immanuel Kant einen wahrhaften Giganten der Aufklärung und des Liberalismus zu würdigen, dessen Geburtstag sich exakt am heutigen Tage zum 300-ten Mal jährt:

Kants Theorie der praktischen Vernunft lieferte eine Begründung für die universale Gleichheit aller Menschen – und seine berühmte Schrift „Zum ewigen Frieden war ein erstaunlicher Vorgriff auf die rechtsmoralischen Grundsätze der Vereinten Nationen

In der Wendezeit nach 1990 flankierte auch sein republikanischer Geist die liberale Euphorie des Aufbruchs, als eine kooperative Weltordnung im Geiste der Vereinten Nationen beschworen wurde.

Bekanntlich wurde diese Hoffnung enttäuscht.

Viele Visionen vom Fortschritt und einer konstruktiven Welt-Innenpolitik erwiesen sich als Illusionen. Vielmehr spottet die aktuelle Lage allen Postulaten des ewigen Friedens und der praktischen Vernunft!

Sie zeigt sich eher als

·        destruktive Unordnung,

·        Umbruch ins Unbekannte

·        und Zustand der informationellen Überforderung.

Es dominiert die Wahrnehmung eines Epochenbruchs, der bisherige Annahmen über

 

·        den zukünftigen Wohlstand,

·        die politische Stabilität von Demokratien

·        und die Belastbarkeit der Sicherheitsarchitektur in Frage stellt.

 

Ich danke daher Ihnen – sehr geehrte Frau Staatssekretärin – für Ihren Impuls, mit dem Sie unsere Blicke auf die vielen bedrückenden Schlaglichter der Sicherheitslage gelenkt haben.

Deren internationale Dimension ist wahrlich unverkennbar – und der Fokus unseres Symposiums überaus treffend.

In der Tat verschärft der jüngst erfolgte Angriff Teherans auf Israel mit Hunderten Drohnen und Raketen eine ohnehin höchst fragile Spannungslage. Es bleibt zu hoffen, dass die Bemühungen zur De-Eskalation der internationalen Gemeinschaft Früchte tragen.

Ein regionaler Flächenbrand wäre ein weiteres Glied in der Kette dramatischer Sicherheitsereignisse, die uns bereits in Gestalt

·        der russischen Invasion der Ukraine

·        oder den terroristischen Attacken der HAMAS auf Israel in Atem halten.  

Im Jahr 2024 – in dem wir auch den 75. Geburtstag unseres Grundgesetzes feiern werden – steht die Sicherheit Deutschlands und seiner freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie selten zuvor in direkter Wechselwirkung zu internationalen

·        Krisen,

·        Kriegen

·        und Konflikten.

Die zwingend notwendigen Fragen – 

·        Warum befinden wir uns in dieser Lage?

·        Was ist für die Zukunft zu erwarten?

·        Und wie müssen wir handeln, um sie zu meistern?

–  sollen heute zur Sprache kommen.

 

Bevor wir die erheblichen Auswirkungen externer Krisenereignisse auf die innere Sicherheit reflektieren, möchte ich jedoch einen gewichtigen Punkt unterstreichen:

Die sachlogische Unterscheidung von In- und Auslandsnachrichtendiensten darf nicht den Blick trüben für die Tatsache, dass die transnationale Dimension seit jeher unserem gesetzlichen Auftrag innewohnt!

Unser Bundesamt ist zur Erfüllung seiner Aufgaben auf gefestigte Kontakte zu ausländischen Partnerdiensten angewiesen.

Das im Gesetz formulierte Aufklärungsziel fokussiert zwar Tätigkeiten von Personen in Deutschland, eine territoriale Eingrenzung der Maßnahmen zum Erreichen dieses Ziels hat der Gesetzgeber jedoch nicht vorgenommen.

Im Gegenteil: Er definiert den dienstlichen Austausch mit öffentlichen Stellen anderer Staaten ausdrücklich als Obliegenheit unseres Bundesamtes zur Bewältigung seiner Aufgaben.

Denn beinahe jede extremistische Gruppierung weist Bezüge ins Ausland auf!

Besonders markant ist dies im Phänomenbereich Auslandsbezogener Extremismus, der seine transnationalen Bezüge bereits im Namen trägt.

Für die Ideologie des Islamismus und seinem Ideal einer muslimischen Gemeinschaft – der Umma – spielt die Zugehörigkeit zu einem Nationalstaat entweder keine oder nur eine geringe Rolle. Um eine adäquate Gefahrenabwehr zu realisieren, muss den Kommunikationsflüssen und Reisebewegungen von

·        Jihadisten,

·        radikalisierten Einzelpersonen

·        oder Kleingruppen ein grenzüberschreitender Informationsaustausch der Sicherheitsbehörden nachfolgen können.    

 

Für Linksextremisten bestehen schon aufgrund der ideologischen Grundlagen keine Hindernisse für Kooperationen über Grenzen hinweg. Linksextremismus und Internationalismus sind schlichtweg kongruente Größen! Dies offenbart sich meist bei Protesten gegen internationale Großereignisse mit internationaler Beteiligung.

Auch Rechtsextremisten begrenzen ihre Aktivitäten nicht auf das Bundesgebiet und pflegen Kontakte ins Ausland. Sie nehmen dort zum Beispiel an Veranstaltungen und Aufmärschen teil, während zugleich ausländische Gesinnungsgenossen regelmäßig zu einschlägigen Musik- oder Kampfsportveranstaltungen nach Deutschland einreisen.

Selbstverständlich ist das Feld der Spionage- und Cyberabwehr per se internationaler Natur. Gerade im virtuellen Raum ist die Relevanz geographischer Distanzen nahezu implodiert! 

Sei es nun bilateral oder im Rahmen multilateraler Gremien – der Austausch mit ausländischen Diensten dient der Steigerung unserer Erkenntnisse.

Er ist unverzichtbar – und bewährt!  Wir würden sonst unserem gesetzlichen Auftrag nicht gerecht werden können.

Und – meine sehr geehrten Damen und Herren – wir würden auch der Realität nicht gerecht werden, die ganz ohne Zweifel in den vergangenen drei Dekaden eine gewaltige Internationalisierung im Bereich aller vitalen Sicherheitsfragen hervorgebracht hat.

Initiale Ursache war die Selbstauflösung der Sowjetunion mit samt des bipolaren Blocksystems. Auf den Wegfall der Grenzregime folgte der so plausible wie beeindruckende Take-Off der Globalisierung – und Interdependenz war das Zauberwort der Zeit.     

Es setzte weltweit nicht nur die bislang stärkste Demokratisierungswelle ein, sondern durch die Beschleunigung der Mobilität von Personen, Gütern und Informationen auch eine enorme „Raumschrumpfung“.

Insbesondere dem glücklichen Deutschland – zuvor ein geteilter Frontstaat hinter Mauer, Stacheldraht und Wachtürmen – lässt sich die Freude über die neue Zeit mit neuen Freiheiten nicht verübeln.

Seine De-Militarisierung war gerade die politische Bedingung seiner Wiedervereinigung; und die neuen Zugänge zu

·        Mächten,

·        Märkten

·        und Menschen eine neue Basis für Wohlstand durch Export.

 

Umso mehr schmerzte die Erfahrung, dass die Globalisierung und Digitalisierung auch Risiken über alle Distanzen exportieren.

Das bedeutet konkret,

·        dass ehemals ferne Konflikte unsere innenpolitische Agenda bestimmen können

·        und dass wir – auch ohne ursächlich an Konflikten beteiligt gewesen zu sein – Kompetenzen und Ressourcen bereithalten müssen, um Herr – oder Frau – der Lage bleiben zu können.

 

Während wir im symmetrischen System des Ost-West-Konfliktes an einer physischen Grenze einem sichtbaren und hochgerüsteten Gegner gegenüberstanden, so wurde unsere Sicherheit zunehmend von der Auflösung klarer Grenzen bedroht.

Das ist nicht zuletzt das Ergebnis der digitalen Transformation, die eine ungekannte horizontale und vertikale Streuung von Macht und Einfluss bewirkte.

Sie vernetzt horizontal einst ferne Konfliktpotentiale – und erhöht die Reichweite von Weltanschauungen und Ideologien.

Auf der vertikalen Achse kommen immer mehr Akteure hinzu. Nicht nur Staaten und Digitalkonzerne sondern auch Privatpersonen können das neue Technikpotential voll ausnutzen.

 

Der Aufstieg wirkmächtiger nicht-staatlicher Protagonisten steht damit in Zusammenhang. Denken Sie dabei etwa an den islamistischen Terrorismus:

Die Anschläge vom 11. September 2001 waren nicht nur ein weiterer disruptiver Moment für das internationale Ordnungsgefüge nach 1989/90, sondern auch ein globales Medienereignis in Echtzeit, – jedoch mit langfristigen Folgen, die bis heute wirken.   

So wurde diese Zäsur zur eigentlichen Zeitenwende für unseren Nachrichtendienst, in deren Folge wir uns

·        international stark vernetzten,

·        den Austausch von Informationen intensivierten

·        und den Einsatz operativer Maßnahmen massiv ausgeweitet haben.

Parallel erhöhte die Kaskade an Interdependenz-Krisen der jüngeren Zeit die Nachfrage für die Botschaften von Extremisten, die Furcht und Empörung mit Gewinn bewirtschaften.

Auch hier ist die Existenz der digitalen Plattformen und Kanäle ursächlich für eine reichweitenstarke Angebotsseite, die extremistischen Protagonisten komfortable Wettbewerbsbedingungen bietet. 

Die Omnipräsenz von Bedrohungen und Katastrophen aus allen Regionen der Welt, die heutige Medienkonsumenten in Echtzeit erreichen und mental bedrängen, nutzen bekanntlich auch autoritäre Regime für illegitime Interventionen. Sie finden hier ein dankbares Operationsfeld, um die

·        politische Fragmentierung der Gesellschaft,

·        und die Platzierung eigener Narrative zu betreiben.     

Vor diesem Angriffsvektor im Rahmen komplexer hybrider Bedrohungen warnen wir seit Jahren ausdauernd in

·        Analysen,

·        Berichten

·        und Symposien.

Und mit Blick auf das sogenannte „Superwahljahr“ sind unsere Augen äußerst wachsam, um jeder erkannten illegitimen Einflussnahme im Verbund mit allen relevanten Behörden und Entscheidungsträgern geschlossen entgegenzutreten.

Und es passiert eine Menge, wie uns die Vorgänge in Tschechien gelehrt haben.

Sie – sehr geehrte Frau Staatssekretärin – haben bereits treffend die umfangreichen ressort- und behördenübergreifenden Maßnahmen ausgeführt.

Halten wir an dieser Stelle fest:

Die Schattenseiten globaler Interdependenzen sind zweifellos in das allgemeine Bewusstsein gelangt.

Die einstige theoretische Unterscheidung von äußerer und innerer Sicherheit ist de facto aufgehoben und in unserer praktischen Arbeit obsolet.

Heute gilt gemeinhin ein umfassender Sicherheitsbegriff, der

·        zivile,

·        polizeiliche,

·        nachrichtendienstliche

·        und militärische Mittel berücksichtigt und zur Krisen- und Konfliktbewältigung verknüpft.

Die aufgezeigten Entwicklungslinien, die zur aktuellen Situation und einem neuen Sicherheitsbegriff geführt haben, sind ebenfalls so komplex wie evident.

In der Gesamtschau reden wir über einen dynamischen Prozess, in dem langfristige Veränderungen mit verdichteten Krisenereignissen in immer kürzerer Abfolge zusammenwirken.

In diesem Sinne hatte der Verlegenheits-Begriff der sogenannten Post-Moderne am Ende treffend das Gefühl einer Transformationsphase zum Ausdruck gebracht, in der sich alte Gewissheiten verflüchtigten und die zukünftige Weltordnung noch hinter dem Schleier des Nichtwissens lag.     

 

Seit Russland jedoch einen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit Abertausenden Toten entfesselt hat, sind seine stetig gewachsenen Aggressionen gegenüber liberalen Prinzipien aus dem Schatten herausgetreten, um die neo-imperialen Ambitionen des Kreml offen und brutal auszufechten.

Parallel belegen die unerhörten Ereignisse in Nahost, dass auch in weiteren Regionen einst Konflikt-hemmende Regelwerke und Drohkulissen aktiv attackiert werden im Ringen um die Interpretation der Weltordnung und ihrer Grundsätze.

Doch betrachten wir die konkreten Auswirkungen auf die deutsche Sicherheitslage:

Nach über zwei Kriegsjahren in der Ostukraine bestätigt sich unsere zwingend gebotene Prognose, dass von den russischen Nachrichtendiensten ein noch höheres Gefährdungspotenzial ausgeht:

·        Ihr Aufklärungsinteresse ist intensiv,

·        Cyberangriffe auf deutsche Behördennetze, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft die Realität

·        und Desinformationsaktivitäten noch offensiver.

In der Folge bleibt das Geschehen in der Ukraine zum Beispiel in der deutschen rechtsextremistischen Szene ein präsentes Thema. Dabei verfestigten sich unterschiedliche Positionen:

Ein pro-ukrainisches Lager findet sich vorrangig im Bereich der neo-nazistisch ausgerichteten Kleinparteien „Neue Stärke Partei“ und „Der III. Weg“. Demgegenüber besteht ein pro-russisches Lager – etwa in Form der reichweitenstarken „Compact-Magazin GmbH“ und der im Bundesland Sachsen regelmäßig öffentlich in Erscheinung tretenden „Freie Sachsen“.

Wenig überraschend schüren pro-russisch eingestellte rechtsextremistische Akteure die Narrative Russlands und die allgemein verbreitete Angst vor einem eskalierenden Konflikt bis hin zum Dritten Weltkrieg.

Hier treffen wir auf die bekannte doppelte Zielsetzung:

Es gilt, an bestehende Diskurse und Meinungsbilder anzudocken und zugleich die gesellschaftliche Mitte zu radikalisieren.

Der Krieg bietet einen dankbaren Hebel, erneut das zeitweilig in den Hintergrund gerückte Agitationsthema „Anti-Asyl“ aufzugreifen.

Unserem Bundesamt sind in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn Ausreisen einer mittleren zweistelligen Zahl von Rechtsextremisten in das Kriegsgebiet bekannt geworden. Dieser Trend ist jedoch fast zum Erliegen gekommen.

Die bisherigen Erkenntnisse deuten nur in Einzelfällen darauf hin, dass die Ausreisen mit der Absicht erfolgten, sich an Kampfhandlungen zu beteiligen.

In der Regel betätigten sich die Akteure mit propagandistischer Absicht als Vor-Ort-Berichterstatter oder im Rahmen von Hilfsprojekten.

Umgekehrt wurden mittlerweile in Europa über 600 Angehörige russischer diplomatischer Vertretungen ausgewiesen, was die Arbeit der russischen Dienste vorübergehend einschränkt.

Wie von uns antizipiert, schlagen ihre Dienste alternative Wege der Informationsbeschaffung ein. Dazu gehören

·        reisende Führungsoffiziere,

·        sogenannte Illegale – also mit falscher Identität eingeschleuste Personen –,

·        sowie die Nutzung von Personal, welches zum Schein einer regulären Beschäftigung außerhalb nicht-staatlichen Stellen nachgeht, tatsächlich aber für nachrichtendienstliche Zwecke vorgesehen ist.

Natürlich bewerten wir auch das Risiko staatlich gesteuerter Sabotagehandlungen als deutlich erhöht – insbesondere gegen Kritische Infrastrukturen der Informations- und Kommunikationstechnik sowie der Energieversorgung.

Solche Sabotageakte sind gerade in Gestalt von Cyberattacken mit hohen Schadenspotentialen behaftet.

Russland könnte je nach Kriegsverlauf mit physischen aber auch cyberbasierten Sabotageaktivitäten reagieren, die auch in Deutschland eine negative Wirkung entfalten könnten – als Angriffsziel oder mittelbar durch Kollateralschäden, wie wir bereits zu Beginn des Krieges erleben mussten.

Ich erwähne an dieser Stelle exemplarisch die Festnahme in Bayreuth von zwei deutsch-russischen Staatsangehörigen in der vergangenen Woche. Sie werden dringend verdächtigt, für einen russischen Geheimdienst Agententätigkeit zu Sabotagezwecken ausgeübt und Informationen über potentielle Anschlagsziele in Deutschland gesammelt zu haben. Dies ist erneut Resultat der guten Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden und Beleg unseres Lagebildes.

Angesichts eines heißen Krieges mit enormer Gewaltanwendung durch Russland wäre es fahrlässig, nicht von der Fähigkeit und dem Willen seiner Nachrichtendienste zu komplexen Operationen in Europa auszugehen.

Russland setzt alle Tools ein, die zur Verfügung stehen – bis hin zur Tötung, wie wir sie im Tiergarten sehen mussten.

Die Wechselwirkung von Kriegs- und Gewaltschauplätze auf die Sicherheitslage richtet unser Augenmerk zwangsläufig auf den Nahen Osten, dessen Zukunft trotz seiner leidgeprüften Vergangenheit mit selten großer Sorge betrachtet wird.

Der Pessimismus ist wohlbegründet, denn der militärische Konflikt im Gazastreifen ist längst nicht mehr auf Israel und HAMAS begrenzt. Der direkte Angriff Irans ist der dramatische Höhepunkt einer sukzessiven Ausweitung des Schlagabtausches.

In seltener Drastik wurde die Relevanz des Nahostkonflikts für die innere Sicherheit deutlich nach den barbarischen Massakern der HAMAS an israelischen Bürgerinnen und Bürgern am 7. Oktober des vergangenen Jahres. Bereits unmittelbar nach den Angriffen kam es zu einem bundesweiten Demonstrationsgeschehen, das sowohl pro-palästinensisch als auch pro-israelisch ausgestaltet war.

Jedoch instrumentalisierten islamistische als auch säkulare extremistische Gruppierungen die Ereignisse für ihre Versammlungen sowie zur Agitation in den sozialen Medien.

Bekanntlich hat am 2. November das Bundesministerium des Innern und für Heimat die Betätigung der HAMAS und des internationalen Netzwerks „Samidoun“ in Deutschland verboten. Unser Bundesamt war maßgeblich an den Vorbereitungen dazu beteiligt.

Es ist so auffallend wie bedenklich, dass auch sunnitisch-islamistische Gruppierungen, die in der Vergangenheit keine politische Agenda mit dem Nahostkonflikt verbanden, diesen nunmehr deutlich auch für sich instrumentalisiert haben.

So riefen internationale jihadistische Organisationen – wie „al-Qaida“ und der IS vermehrt zu weltweiten Anschlägen gegen jüdische Menschen und Einrichtungen oder amerikanische Militärinfrastruktur auf.

Bekundete Anschlagsabsichten, aber auch Terroranschläge in europäischen Ländern, deren Einzeltäter teils ausdrücklich Bezug auf den Konflikt im Nahen Osten nahmen, waren bereits die Konsequenz.

Auch in Deutschland wurde Ende Oktober ein Haftbefehl gegen eine Person wegen des Verdachts von Anschlagsplanungen auf eine Solidaritätskundgebung für Israel erlassen.

 

Sie werden – meine sehr geehrten Damen und Herren – zu der Entwicklung im islamistischen und jihadistischen Spektrum, die unsere Warnungen bestätigen, in den nachfolgenden Vorträgen noch vertieft unterrichtet werden.

Ich möchte an dieser Stelle allerdings den so traurigen wie historisch verbrieften Befund unterstreichen, dass auch in dieser Gemengelage das Erstarken des Antisemitismus ein zuverlässiger Krisen-Seismograph ist!   

Im gesamten Bundesgebiet war ein massiver Anstieg antisemitischer Straftaten zu verzeichnen – bis hin zu einem versuchten Brandanschlag auf eine Synagoge in Berlin.

Entsprechend unserer bisherigen Analysen zu diesem Thema zeigt sich erneut der Antisemitismus in allen Erscheinungsformen des Extremismus!

Im islamistischen Phänomenbereich wird Kritik am Handeln Israels mit antisemitischen Stereotypen vermischt, um eine alleinige Schuldzuweisung an Israel im Konflikt zu adressieren.

Mehrfach kam es bei Demonstrationen zu antisemitischer Hetze – und Sprechchören wie „Tod den Juden!“

Auch Akteure aus dem auslandsbezogenen Extremismus propagieren Israelhass und Antisemitismus. Immer wieder kam es bei stark emotionalisierten propalästinensischen Veranstaltungen zu derartigen Verlautbarungen.

Auch wenn Antisemitismus als Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden kein elementarer Bestandteil der linksextremistischen Ideologie ist, findet sich in der als „Anti-Imperialismus“ etikettierten Israelfeindlichkeit eine Grundlage für diverse Vernetzungen zwischen deutschen und türkischen Linksextremisten sowie Akteuren säkularer extremistischer Palästinenserorganisationen.

Mit Hilfe dieses ideologischen Um- und Irrweges konnten sich folglich auch Linksextremisten im Versammlungsgeschehen als Scharfmacher betätigen.

Demgegenüber ist die Bedeutung des Nahostkonfliktes in der rechtsextremistischen Agitation zurückgegangen. Hauptsächlich verbreiten sie migrationsfeindliche und verschwörungsideologische Äußerungen – sowie Warnungen vor einem Import des Konflikts durch unbeschränkte Zuwanderung aus dem arabischen Raum.

Ungeachtet dessen ist Antisemitismus im Phänomenbereich des Rechtsextremismus ein erschreckend stabiles Phänomen, das ohnehin unabhängig von externen Entwicklungen besteht.

Beide Konfliktherde – in der Ukraine als auch in Nahost – zeigen nicht nur exemplarisch das direkte Durchschlagen von Krisen auf die Sicherheitsinteressen Deutschlands und seiner Bündnispartner, sondern auch die internationale Blickrichtung, die unsere operative Arbeit täglich begleiten muss.

Von der Spionage- und Cyberabwehr bis zur Bekämpfung des Extremismus: der Strom an Gefahrenpotentialen für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung wird von vielen Zuflüssen aus dem In- und Ausland gespeist.

Dies wird sich perspektivisch nicht ändern, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit verstärken. Dafür gibt es Gründe, die zu verschärfter Wachsamkeit anhalten.

Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke  verweist zu Recht auf den Umstand, dass der bipolare Ost-West-Konflikt neben allen

·        Phasen der Konfrontation,

·        Risiken der atomaren Zerstörung

·        und Scharmützeln in der Peripherie 

immer auch der Logik einer konstruktiven Rivalität auf den Feldern der Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft folgte.

Als eine Siegermacht des Zweiten Weltkrieges war die Sowjetunion im Prinzip status-quo-orientiert.

Die grotesken Gewaltpotentiale der Supermächte dienten im Gleichgewicht des Schreckens der Abschreckung – zugunsten einer im Kern friedlichen Koexistenz.

In der aktuell multipolar ausgerichteten Un-Ordnung voller ambitionierter Akteure sind wir mit mehreren revanchistischen autoritären Regimen konfrontiert, die im unterschiedlichen Grade von einer destruktiven Stoßrichtung gegenüber der liberalen Ordnung geeint und angetrieben werden.

Insbesondere der Kreml definiert sein Verhältnis zu den westlichen Demokratien als offen feindlich – ebenso wie weitere radikal anti-westliche Regime, Organisationen und Bewegungen; denken Sie dabei etwa an

·        den Iran,

·        die HAMAS

·        und weitere islamistische Protagonisten.     

Sie alle sind Krisenprofiteure, die Konflikte

·        herbeiführen,

·        anheizen

·        oder schlichtweg propagieren.

Und Sie finden bei extremistischen Kräften Brüder-im-Geiste, die demokratische Systeme auch von innen heraus unterminieren.

Diese direkten oder informellen Allianzen folgen einer Logik der Zerstörung und nutzen die Tatsache aus, dass die Demokratien bei der Durchsetzung von Interessen aufgrund ihrer Selbstbindung an rechtsstaatliche Werteordnungen eine Art Wettbewerbsnachteil in Form limitierender Optionen schultern müssen.

Wir sehen diesen asymmetrischen Ansatz besonders deutlich

·        in der erheblichen Anwendung der genannten hybriden Aggressionen,

·        der machtpolitischen Hebelwirkung von Energielieferungen, Lieferketten und Rohstoffen

·        sowie der Gefährdung von Kritischen Infrastrukturen und Kommunikationssystemen.  

In einem derart unübersichtlichen zentrifugalen Umfeld und angesichts der Tatsache, dass aus dem Versprechen der digitalen Informationsgesellschaft de facto die reale Gefahr der Desinformationsgesellschaft erwachsen ist, sind potente Nachrichtendienste mehr denn je gefordert. Es gilt,

·        Risiken im Vorfeld aufzuklären,

·        Informationen zu validen Erkenntnissen zu verdichten

·        komplexe Interessenkonstellationen auszuleuchten

·        und starke Partnerschaften zu pflegen.  

Doch darf uns das Vertrauen in schlagkräftige Partnerschaften nicht zu dem Irrglauben verleiten, dass sie eigene Fähigkeiten ersetzen!

Auch im nachrichtendienstlichen Bereich dürfen wir keine asymmetrischen Abhängigkeiten hinnehmen!

Gerade in diesem Geschäft – das ganz besonders von kühlen Interessen beherrscht wird – gilt der eherne Grundsatz des do-ut-des – des Gebens-und-Nehmens.       

Der erfolgreiche Austausch hängt somit immer auch an unserer erfolgreichen Eigenleistung, die wir mit großem Einsatz und der Unterstützung aus dem politischen Raum erzielen.   

Aber im Angesicht der geschilderten Herausforderung und mit Blick auf die nachrichtendienstlichen Mittel auswärtiger Mächte benötigen wir weiterhin eine starke personelle und finanzielle Ausstattung.

Befugnisse zur Finanzaufklärung sind nicht nur hilfreich, sondern elementar wichtige Wirkmittel der Vorfeldaufklärung. Auch unsere Cyberabwehr muss technisch hoch versierten Angreifern auf Augenhöhe begegnen können.

Die Risikofaktoren der Gegenwart werden zunehmen – denn sie werden durch Technologie quantitativ und qualitativ verstärkt. 

Aktuell faszinieren KI-gestützte Chatbots die breite Öffentlichkeit mit erstaunlichen Fähigkeiten. Der Take-off von Künstlicher Intelligenz und Quantentechnologie könnte die bisherige Digitalisierung zur bloßen Vorstufe einer Zukunft degradieren, in der neue Potentiale in nie gekannter Schnelligkeit und Drastik unsere Lebensrealität und Sicherheitslandschaft verändern.

Nur wer zeitgemäße Tools in den Händen hält, kann in strategisch relevanten Aufgabengebieten – etwa im Bereich von Big Data Technologien – trittsicher dieser Zukunft entgegengehen.

Nur wer die Bearbeitung riesiger Datenmengen beherrscht und die Rechtsordnung mit den Realitäten des Digitalzeitalters harmonisiert, kann souverän bleiben. 

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

die aktuelle Lage ist reich an Gewalt und gewaltigen Aufgaben.

Eine Rede allein kann sie nicht fassen.

Aus Sicht des liberalen und stabilitätsorientierten Westens mag die Dynamik des Weltgeschehens meist wie ein Kontrollverlust anmuten.

Doch für viele andere Mächte und Akteure ist eine Welt mit multiplen Polen auch eine Welt mit multiplen Optionen!

Sie werden sie nutzen. Und wir werden damit umgehen müssen.

Bei allem Respekt vor der Größe der Aufgaben gibt es keinen Grund, zu verzagen. Immanuel Kant lehrte die Welt, die Aufklärung sei der „Ausgang aus selbst verschuldeter Unmündigkeit“.

Demokratinnen und Demokraten dürfen sich nie in die Schuld begeben, freiwillig in die Unmündigkeit zurückzukehren!

Denn wir feiern in diesem Jahr zum 75. Mal unser Grundgesetz, weil es jeden Bürger zum Souverän seiner eigenen Entscheidungen erhebt – und ihn – oder sie – ermutigt, sich selbst seines eigenen Verstandes zu bedienen.

Deshalb werden wir diese Verfassung verteidigen:

·        wachsam,

·        wehrhaft

·        und gemeinsam mit vielen internationalen Partnern.

Vielen Dank.